Echt Hyggelich

Barmanager Timo Wessel: „Weder die Marke noch Geschmack entscheiden beim Einkauf von Gin, Destillaten und Co. Ich wähle aus der Perspektive meiner Gäste aus.“ Foto: Hygge Bar & Brasserie
Sina Listmann 09.03.2021 MAGAZIN  |  Konzepte

Wertschätzung, Eigenverantwortung und Gemeinschaftsgefühl – das alles im Zusammenspiel mit Hochprozentigem. Ob eine Bar nach dänischem Lebensgefühl anders funktioniert als andere? Barmanager Timo Wessels von Hygge Bar & Brasserie Hamburg lässt vor und hinter den Tresen schauen.

Welche Art Gin mögen Sie? Klassisch mit Wacholder, betont zitronig oder mehr Richtung Kräuter? Seit zwei Jahren fragt Timo Wessels seine Gäste nicht mehr, welche Marke sie trinken wollen. Er fragt nach der persönlichen Stilrichtung und schätzt die Stimmung der Gäste ein. Wessels – breites Grinsen und aufmerksamer Blick – baut seine Barkarte auf wie ein Künstler seine Farbpalette oder ein Dirigent sein Orchester. So findet er lässig und schnell das passende Getränk für jeden Gast. „Sehr kräutrig? Gerne. Verkosten Sie diesen.“

Mehr als ein bisschen „hügga“
Hygge – man denkt sofort an Kerzenlicht, Schafsfell und schlichtes Grau. Aber wäre Hygge nur eine Designrichtung ohne Philosophie, wäre der Trend schnell verpufft. Das ist er seit Jahren nicht, denn „hygge“, gesprochen „hügga“, transportiert das skandinavische Lebensgefühl. Es geht nicht nur um kuschelige Atmosphäre, sondern um die soziale Komponente. Achtsamkeit, Wertschätzung, Dankbarkeit, Frieden. Hehre Ziele, die sich m Alltag gar nichts so leicht umsetzen lassen. Oder ist es gar nicht so kompliziert? Können solche Werte in einem kleinen Kosmos wie eben einer Bar tatsächlich gelebt werden?

2017 eröffnete das Hygge in einem Hamburger Vorort unweit der Elbe. Inhaber Nils Jacobsen, in Kiel geboren, aber mit dänischen Wurzeln, war zu diesem Zeitpunkt bereits 22 Jahre Pächter. Fünf Jahre sammelte er Ideen, kaufte schließlich die 200 Jahre alte, unter Denkmalschutz stehende Reetdach-Scheune und änderte das Konzept grundlegend: Ein Schritt durch das ehemalige Scheunentor und Bar & Brasserie öffnen sich wie eine weitläufige Landschaft. Der Beaumont-Hochtisch lädt zu einem Aperitif ein; man speist danach an handgefertigten Holztischen in kühler Moderne, die umgeben ist von warmen Lichtakzenten. Die Ledersessel vor dem Kamin sind wie geschaffen für ein Finale mit Kaffee oder einem Cocktail.

Eigenverantwortung für alle
Barmanager Timo Wessels ist von Anfang an dabei im Hygge. „Natürlich bin ich Angestellter. Aber unser Chef Nils gibt uns – ob Küchenchef, Sommelier oder Barmanager – alle Freiheit. Er vertraut uns. Wir kaufen ein und verkaufen wieder. Das heißt, jedes Teammitglied denkt und wirtschaftet wie ein Unternehmer.“ Das war auch der Reiz für Wessels, zurück nach Deutschland zu kommen. Vier Jahre arbeitete er in Abu Dhabi und Singapur, lernte dort seine japanische Frau kennen und kehrte 2017 mit Frau und Kind zurück nach Deutschland.

Die Auswahl der Spirituosen für das Hygge trifft Wessels in Eigenregie – und er probiert sie alle. Es gibt keine Verträge, die ihn an bestimmte Hersteller binden. Anfangs entschied er sich vor allem für Marken, die andere Bars im Umkreis nicht hatten. Inzwischen wählt er ausschließlich aus Perspektive des Gastes. Ist ein Brand zu ähnlich zu einem, den er schon im Portfolio hat? Dann hat er keine Chance. 250 Spirituosen türmen sich malerisch an der Bar vor dem Auge des Gastes auf – oder warten in der Kühlung darauf, dass Wessels sie den Gästen empfiehlt.

Signatures, alte Schule, Gin und mehr
Auf der Karte des Hygge finden sich „Signatures“ wie der Pomelo Boulevardier mit Buffalo Trace Bourbon Whiskey, Pampelle Grapefruitlikör oder Wermut roter Helmut, außerdem Cocktails der „Alten Schule“ und „Sour´s and Smashes“. Die Preise bewegen sich dabei zwischen 10 und 15 Euro. Früher mixte Wessels seine Drinks á la minute. Jetzt nutzt er Prebatches. „Für manchen Drink müsste ich sieben Flaschen anfassen. Das kostet enorm viel Zeit. Deshalb mixe ich vor – aber nur den Alkohol. Es ist ganz wichtig, dass die anderen Zutaten frisch dazukommen. Ich presse zum Beispiel täglich drei bis vier Liter frischen Zitronensaft“, erläutert der Profi.

Ob das Hygge-Konzept Frieden an der Bar schenkt? Wenn man Frieden bodenständig als „Zufriedenheit“ und „im Moment sein“ begreift, dann schon. Timo Wessels jedenfalls ist zufrieden. Und die Gäste sind es offenbar auch: Vor Corona gab es in drei Jahren nur vier Abende, an denen das Hygge nicht ausgebucht war.

Den vollständigen Artikel finden Sie in KÜCHE 12/2020.