Handwerkskunst

Passionsfrucht, Bergamotte, Schokolade und Roggen. Foto: Ingo Hilger.
Dulce Schokolade, Artischocke, Amalfizitrone und Chinotto. Foto: Ingo Higer.
Patissier Sebastian Kraus lebt die Handwerkskunst - Foto: Ingo Hilger
Petra Münster 27.10.2020 MAGAZIN  |  Kochkunst

Sebastian Kraus ist Patissier des Jahres 2019 und steckt voller Ideen. Dabei beginnen seine Kreationen immer mit der Liebe zu einem Produkt.

Ein Dessert muss ein Dessert bleiben“, findet Sebastian Kraus –Patissier des Jahres 2019 und Chef Patissier bei Küchenchef Christian Eckhardt im Andernacher „Purs“ – und bricht damit eine Lanze für den süßen Klassiker. „Es darf ruhig süß sein“, betont der gelernte Konditor, denn das erwartet der Gast nun einmal von einem Dessert. Süß, aber nicht zuckrig-schwer, sondern erfrischend und leicht, sollte dabei die Devise sein. Die natürliche Fruchtsüße etwa eines reifen Apfels, dazu etwas Säure und eine Komponente mit leichter Schärfe für den Kontrast, unterschiedliche Texturen von knusprig bis weich, warm und kalt – viel mehr braucht es nicht für ein gutes Dessert, so Kraus.

Augen auf
Wird Gemüse verarbeitet – seit Christian Hümbs ein Megatrend in der modernen Patisserie – dann heißt es: Augen auf bei der Produktwahl! Nicht alles, was innovativ scheint, macht sich auch wirklich gut im Dessert, weiß der Profi. Mit der feinen Süße der Artischocke zu arbeiten, kann hingegen was werden.

Sebastian Kraus Kreation „Goldkugel“ ist die Artischocke zwar ein wichtiger Bestandteil des Desserts, aber drängt sich nicht in den Vordergrund. Die Goldkugel besteht aus einem Dulce Schokoladen-Mousse-Parfait, das ausgehöhlt und anschließend mit leicht angebratener Artischocke, Artischockeneis, filetierter, süß-sauer eingelegter Amalfizitrone und einem Amalfigel gefüllt wird, in dem wiederum Abrieb von Amalfi, Limette und Orange verarbeitet sind. Umgeben ist die Goldkugel von einem Sud aus Chinotto-Orange, getrockneten Artischockenchips, Zitronenmelisse und Amalfizitronen-Zesten.

Vom Schreiner zum Konditor
Klingt doch gar nicht so schwer, oder? Aber die Tücke liegt ja bekanntlich im Detail. Mit Details, vor allem mit genauen Mengen und Maßen, kennt sich Sebastian Kraus bestens aus. Schließlich machte er nach der Schule zunächst eine Lehre als Schreiner, bevor er sich zum Konditor ausbilden ließ. Genauigkeit ist der zweite Vorname eines guten Patissiers, weiß der 34-Jährige, der den Zuckergehalt seines Eises mithilfe eines Refraktometers misst, damit er jedes Mal auf den Punkt 25 Brix hat.

Pi mal Daumen gibt’s hier nicht – handwerkliches Können umso mehr. Und darauf kommt es Kraus besonders an. Gerne lässt sich Sebastian, der selbst keine Kochausbildung hat, bei seiner Arbeit von den Techniken der Köche inspirieren. „Dort schaue ich mir ab, wie man Cremes, Pürees am besten macht, wie man Jus ansetzt, den Fond immer wieder auflegt, damit er noch intensiver wird. „Klar muss ich das abwandeln, aber ich finde es wichtig, dass man sich Gedanken um das Produkt und um seinen Beruf macht“, so der gelernte Schreiner. 

Aller Anfang ist das Produkt
Für Sebastian Kraus beginnt die Idee für ein neues Dessert immer mit der Liebe zu einem Produkt. So war es auch bei seinen beiden Kreationen für den Patissier des Jahres. „Ich sehe irgendwo ein Produkt und weiß, damit möchte ich einmal arbeiten. Bestes Beispiel: das Palmherz aus meinem Freestyle-Dessert. Wir haben einen Lieferanten, der das frisch besorgen kann – das ist ein so schönes Produkt, das knackt im Mund, das hat so eine Frische, ist ein bisschen wie Kokosnuss, ganz mild und weich. Als ich das probiert habe, wow, da wusste ich genau, was ich damit mache“, schwärmt er.

In seiner Gewinnerkreation gesellen sich zu Palmherzeis und Palmherzcreme Tom Kha Gai, Kalamansi und Ananas. Der Konzentration auf wenige Produkte, die liebevoll zu kleinen Kunstwerken zusammengebaut werden, folgt auch Sebastians Komponenten-Dessert, mit dem er die Expertenjury in Köln überzeugte: „Ich war der Einzige, der nur die vorgegebenen Komponenten verarbeitet hat – Valrhona Jivara, Quitte, Kalamata-Olivenöl, Schafgarbe.“ Mehr ist auch nicht nötig, findet der Sieger.

„Schon bei der Quitte sind die Möglichkeiten unendlich.“ Aber: „Ich finde es wichtig, dass man das Produkt, das auf den Teller kommt, auch noch erkennt.“ Und: „Das Dessert ist das Letzte, was der Gast sieht, da kann man noch viel rausholen“, ist Sebastian überzeugt. Wir dürfen gespannt sein, was Sebastian Kraus sich noch so alles einfallen lässt.

Der vollständige Artikel erschien in KÜCHE 11/19.