Trendprognosen auf dem Prüfstand

Blitzlichtgewitter: Was Köche heute medienwirksam auf den Teller bringen, ist morgen vielleicht schon der nächste Trend. Foto: Tim Raue fotografiert von Ingo Hilger.
Thomas Klaus und Petra Münster 07.10.2019 Konzepte

Über Foodtrends wird gerne gesprochen und noch lieber geschrieben. Sowohl Publikumsmedien als auch Fachpresse überschlagen sich geradezu mit der Berichterstattung, wenn eine neue Prognose auf den Markt kommt.

Auf diese Weise bekommen tatsächliche oder vermeintliche Trends eine große Bedeutung – und das kann Köche und Gastronomen gehörig unter Druck setzen. Schließlich können falsche Richtungs- und Investitionsentscheidungen im schlimmsten Fall existenzbedrohende Folgen haben. Andererseits will niemand einen Trend verschlafen und am Ende von den Mitbewerbern abgehängt werden.

Allerdings wird bei der Berichterstattung über Trends selten ein kritischer Blick geübt. Alles, was neu ist (oder scheint), bekommt in unserem von „News“ geprägten Zeitalter fast schon automatisch Relevanz zugesprochen. Dabei sind Trendprognosen durchaus nicht unumstritten.

Der Wirtschaftssoziologe Prof. Dr. Holger Rust etwa bezeichnet sie schlicht als „überflüssig“. Im Exklusivinterview mit unserer Redaktion in KÜCHE 10/2019 (Oktober) erklärt er, was genau im statistischen Sinne unter einem Trend zu verstehen ist und warum er deshalb die Trendprognosen einschlägiger Agenturen für wenig aussagekräftig hält. 

Außerdem nehmen wir in der Oktoberausgabe Hanni Rützlers bekannten Food Report, der jährlich vom Zukunftsinstitut in Kooperation mit der Verlagsgruppe Deutscher Fachverlag herausgegeben wird, genauer unter die Lupe und bewerten, inwieweit ihre in den letzten Jahren prognostizierten Trends unserer Meinung nach tatsächlich sichtbar geworden sind.

Ebenfalls zu Wort kommen die Food-Trendforscherin Karin Tischer und die Gastronomieexperten Jean Georges Ploner und Pierre Nierhaus.

Last but not least haben wir Sie, liebe Köchinnen und Köche, über eine Umfrage in Social Media dazu befragt, wie Sie es mit den (tatsächlichen oder vermeintlichen) Trends und den entsprechenden Prognosen in Ihrer Praxis halten. Und hier kommen Ihre spannenden Statements dazu.
 

STATEMENTS TRENDPROGNOSEN

Mehr Gelassenheit
"Klar: Köche dürfen keine Trends verschlafen. Doch auf keinen Fall sollten Trends ungefiltert übernommen werden. Köche müssen sich fragen: Ist das, was als "Trend" bezeichnet wird, tatsächlich einer? Oder haben wir es eher mit einer Mode zu tun, die sehr schnell wieder vergeht? Nicht zu vergessen ist auch, dass bestimmte Dinge zu Trends "gemacht" werden sollen, weil damit knallharte wirtschaftliche Interessen verbunden sind. Ich rate also zur Trendbebachtung mit Gelassenheit. Was Trends sind oder wo welche Trends hingehen, lässt sich übrigens zum Beispiel alle vier Jahre auf der IKA, der Olympiade der Köche hervorragend beobachten." 
Daniel Schade, VKD-Vizepräsident


Vorurteilsfrei und mutig
"Bei den Trends verfolge ich das Motto: erst einmal alles vorurteilsfrei anschauen! Und dann überprüfen, ob ein Trend zu meiner Situation und der des Lokals passt – und ob eine mögliche Umsetzung unter anderem personaltechnisch möglich wäre! Unter anderem lese ich viele Kochbücher und suche intensiv den Austausch mit Kollegen. Auch die Auswertung der sozialen Medien ist außerordentlich wichtig. Wir Köche müssen den Mut haben, Neues auszuprobieren und auch Rückschläge hinzunehmen. Mit dieser Strategie haben wir in unserem Lokal sehr gute Erfahrungen gemacht und sozusagen in der Pampa vegane Küche etabliert. Mit der erzielen wir mittlerweile ein Drittel unseres Umsatzes."
Marcus Müller, Landgasthof Lahner 


Nicht um jeden Preis
"Ich freue mich grundsätzlich über jeden Trend und beobachte dieses Thema genau. Aber ich setze Trends nicht um jeden Preis um. Die Superfood-Debatte zum Beispiel konnte ich nicht aufgreifen, weil das an manchen Zutaten und anderen Aspekten der Umsetzung gescheitert wäre. Und den veganen Trend greife ich bewusst nicht auf: Wenn man schon kein Fleisch isst, braucht man auch keine vegane Entenbrust oder andere Fleischersatzerzeugnisse, die mit teilweise ungesunden und chemischen 'Keulen' hergestellt werden. Input hole ich mir über die KÜCHE und andere Fachmagazine. Außerdem besuche ich Messen und Ausstellungen, tausche mich mit Kollegen aus." 
Andreas Schreiner, Schreiner´s Essen und Trinken


Authentisch bleiben
"Klar, Trends sind wichtig und müssen beobachtet werden. Aber jedem Trend hinterher zu laufen, das ist geradezu bescheuert. Einen Trend sollte man nur dann mitmachen, wenn er wirklich zu einem passt, man also authentisch bleibt. Denn was bringt es, wenn alle zehn anderen Gastronomen um einen herum Burger braten, die bekanntlich im Trend liegen? In einer solchen Situation sollte man schon konsequent etwas anderes tun. 
Um Trends aufzuspüren, verfolge ich die Sozialen Medien aufmerksam. Dort geben sowohl Kollegen als auch Gäste viele hilfreiche Hinweise. Auch den „Food Report“ von Hanni Rützler lese ich. Außerdem besuche ich viele Kollegen im In- und Ausland und schaue, was sie so machen."
Marc Schumacher, Restaurant Alte Posthalterei


Austausch mit Kollegen bevorzugt
"Natürlich interessiert uns, was um uns herum und in unserer Branche passiert und in welche Richtung sich Food-Trends entwickeln. Es besteht allerdings bei Trends die Gefahr, dass sie für das jeweiligen Lokal und seine Gäste überstülpt wirken. Da muss man gehörig aufpassen. Wir hier in Kiel zum Beispiel müssen bedenken, dass wir schließlich in keiner Weltmetropole handeln und bestimmte Trends von Anfang an nicht in Frage kommen.   Marktforschung betreiben wir nicht und auch Trendprognosen wie etwa der „Food Report“ von Hanni Rützler spielen für uns keine Rolle. Aber wir gehen regelmäßig bei Kollegen essen und tauschen uns oft mit ihnen aus, um einschätzen zu können, wo wir selber stehen."
Mathias Apelt, Romantik-Hotel Kieler Kaufmann

Lieber auf Herz und Bauch hören

"Einem Trend zu folgen, nur um hip zu sein, das ist weder nachhaltig noch zielführend. Das erinnert mich an das Verhalten eines Schürzenjägers, der ständig neuen Röcken hinterher jagt und dabei vergisst, dass die wahre Liebe in der Treue und Verbundenheit liegt. Ich zum Beispiel bin ein Kind der Alpen und dieser Küche gehört meine Liebe, natürlich nach meiner Frau..Ich würde mich durch Trend-Jägerei selbst belügen. Der eine oder andere Trend ist sicher einen Blick wert, doch sollte man dabei nie seine Wurzeln vergessen. Ein Trend müsste wirklich meinen Küchenstil bereichern und auf diese Weise sinnvoll sein. Trendprognosen lese ich sehr selten. Lieber höre ich auf Herz und Bauch."
Alexander Reiter, Hotel NH Collection München Bavaria


Tagesgeschäft beobachten bringt mehr
"Zwar lese ich Trendprognosen, aber einen richtigen Einfluss auf mein Tagesgeschäft haben sie nicht. Ich sehe sie eher als Ideengeber, um daraus möglicherweise eigene Impulse weiter zu entwickeln beziehungsweise abzuleiten. Viel wichtiger ist es, das Tagesgeschäft zu beobachten, wo die Bedürfnisse der Gäste liegen. Grundsätzlich entscheidet letztlich der Gast, was ein Trend ist oder nicht. Und das vollzieht sich über die Umsätze. Ein Beispiel sind die so genannten Superfoods, die als angebliche Trendgerichte einige Wochen tatsächlich ein Renner bei uns waren, dann aber schnell wieder verschwunden sind."
Michael Haupt, A&Z Foodmanufaktur GmbH


Klares Profil und nah am Gast
"Wir haben ein klares Profil geschaffen und der Gast weiß und mag das. Da bringt es nichts, jede Woche sozusagen eine andere Kuh durch das Dorf zu treiben. Da wir kein Szenelokal in der Stadt sind, sondern ein Restaurant auf dem Lande, finde ich Trendprognosen nicht wirklich wichtig und setze mich damit nicht auseinander. Wir kochen mit regionalen Produkten und da geht es mir eher um moderne Kochtechniken oder die Belebung althergebrachter Methoden. Darin investiere ich lieber meine Zeit. Unsere Art der Marktforschung: Mein Serviceteam und ich sind stets nah am Gast, investieren viel Zeit in die Kommunikation mit dem Gast."
Volker M. Fuhrwerk, Restaurant 1797/Ole Liese


Zeitgeist nicht mit Trend verwechseln
"Natürlich ist es wichtig, Trendstudien oder Fachpublikationen zu lesen und im Netz zu recherchieren. Dennoch muss man raus. Sei es über geführte Trendtouren, Messebesuche oder den bewussten Dialog mit den Gästen über Lobhudelei und Wetterbeobachtungen hinaus. Zeitgeist ist nicht Trend! Nur weil es etwas gibt, ist es noch lange keine Trend. Es empfiehlt sich, hinter den sichtbaren Dingen zu schauen. Was treibt Menschen an, ein neues Produkt oder Konzept auf den Markt zu bringen? Was ist die Motivation des Gastes zum Kauf? Gibt es diesen Typus in ausreichender Zahl an meinem Standort? Marktforschung bedeutet weitaus mehr, als Produkte zu kopieren."
Björn Grimm, Autor und Betriebsberater für das Gastgewerbe


Eigene Wege gehen
"Was ist ein Trend überhaupt? Will ich etwas hinterherrennen und mich wie ein Marathonläufer verausgaben oder wie ein Esel einer Karotte hinterherlaufen, nur weil XY gerade im Trend beziehungsweise in der Mode ist? Oder gehe ich meinen Weg, auch wenn er neben dem Trend liegt, und bin dafür ich selbst? Ich bin auf jeden Fall bisher gut damit gefahren, dass ich keine Trends beobachte - weder Gastrotrends noch Modetrends. Wenn mir etwas auffällt, dann muss das so sein. Ansonsten ist das für mich einfach unwichtig. Statt Trendbeobachtung setze ich auf den engen Dialog mit meinen Gästen und Kunden."
Michéle Stocco-Dolder, Gründerin des Bento-Box-Lieferservices


Lieber eigene Handschrift entwickeln
"Trends sind von kurzer Dauer. Man hat das zum Beispiel mit der Molekularen Küche gesehen. Das Problem ist, dass jeder auf so genannte Trends aufspringt und man dann in kürzester Zeit mehrere solche Trendläden hat. Nach einigen Monaten oder Jahren werden sich ein oder zwei Läden durchsetzen und bestehen bleiben. So ist das mit allen Läden, die auf Trends aufspringen. Zur Zeit ist es ja die vegetarische und vegane Küche. Man kann Glück haben oder auch nicht. Jeder sollte für sich eine eigene Handschrift entwickeln und nicht kopieren. So entgeht man den so genannten Trend und bewahrt sich vielleicht vor einem Niedergang."
Dirk Törmer, Restaurant Zum Wein-Zinken


Up to date und wirtschaftlich
"Ich bin eher der konservative Küchenchef und Anbieter. Kontinuität und Beständigkeit qualitativ hochwertiger Produkte sind mir persönlich viel Wert. Trends schließe ich aber grundsätzlich nicht aus, inspirieren sie mich doch zu dezenten Veränderungen der angebotenen Gerichte. Trends sollte man sich nicht verschließen, aber auch darauf achten, dass sie wieder aktualisiert werden. 'Up to Date' zu bleiben und damit wirtschaftlich zu arbeiten, wann dieser Zeitpunkt ist, dafür muss jeder Koch sein Gespür entwickeln. Den Food Report von Frau Rützler schätze ich sehr. Außerdem bewege ich mich gerne in der Blogger-Szene, denn da gibt es Unmengen an News."
Siegfried Arlt, Vorsitzender des Landesverbandes der Köche Bayern


Trends mit eigener Note
"Trends verfolge ich hauptsächlich in Internetforen/-blogs oder in Fachmagazinen. Ich sehe mir die Trends an und behalte den Teil, der meinem Stil am nächsten kommt, beziehungsweise ich verleihe dem Trend meine eigene Note. Was mich persönlich sehr beeindruckt und geprägt hat, ist die New Nordic Cuisine, da sie streng auf Regionalität setzt. Trends, die auf das Verarbeiten bestimmter, besonders exquisiter Produkte setzen, halte ich dagegen für überschätzt. Die Qualität einer Küche bemisst sich meiner Meinung nach viel mehr daran, was der Küchenchef aus einfachen Produkten bereiten kann als daran, welchen Kaviar oder welchen Hummer er verwendet."
Moritz Dasecke, Businesscatering Freiburg


Anders, besonders, clever
"Entscheidend für ein Konzept: Es muss stimmig sein, der Unternehmer muss sich damit identifizieren können und er muss es ständig verfeinern. Es sollte in die Stadt, Gegend, ans Wasser o.ä. passen. Bitte nicht: heute so und morgen so. Liebe im Detail ist entscheidend. Alles ist schon da und wir verkaufen alle in satte Bäuche. Es geht immer um Emotion! Immer! Mein Erfolgs-ABC lautet: A n d e r s, B e s o n d e r s , C l e v e r. Ich empfehle jedem Koch und Gastronomen, eine Gastro-Trendtour mitzumachen. Hier geht es auch um Impulse für sich und die Frage: Was machen denn die anderen anders?"
Kurt Höller, Inhaber Kurtis Eventgastronomie

 

Aktionswochen als Testballon
"Trends beobachte ich auf verschiedenen Kanälen, zum Beispiel über Fachzeitschriften und deren Onlinepräsenzen/Newsletter, Berichte im TV und vor allem bei Branchentreffs sowie durch Messebesuche. Außerdem befragen wir regelmäßig unsere Tischgäste und versuchen auch hier nah am Gast zu sein. Wir lassen in punkto Trends gerne einmal einen Testballon steigen, um zu sehen, wie die Resonanz ist. Zum Beispiel haben wir 2018 eine vegane Aktionswoche gestartet, um vorzufühlen, inwieweit diese Ernährungsform für unser Geschäft wichtig ist. Hier haben wir festgestellt, dass zwar vegane Ernährung im Allgemeinen ein Trend ist, für uns aber (noch) nicht."
Christian Wieser, InfraServ GmbH & Co. Gendorf KG


Ganz viel verschlafen
"Für mich sind Trendprognosen ein wichtiges Instrument, die Strategie eines Betriebs kurzfristig- und längerfristig auszurichten. Zum Beispiel hat unsere Gesellschaft ihren ganzen Lebensstil verändert. Wir haben den mobilen Esser, der ein ganz anderes Angebot benötigt, als es in der Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung angeboten wird. Er will keine festen Mahlzeiten, braucht eine permanente Speisenverfügbarkeit, also Snacks to go, am besten praktisch und sauber verpackt für die Hand- und Laptoptasche, mit einer Haltbarkeit, die auch bei ungekühlter Lagerung nach ein paar Stunden noch appetitlich aussieht und schmeckt, bei der man die Kleidung nicht verschmutzt während des Essens. Und es muss alles zur Hand sein, was man für das Essen braucht.
Gefrühstückt wird immer weniger zu Hause. Man nimmt auf dem Weg zur Arbeit was mit und isst unterwegs. Verlagerung von Inhome zu OOH. Beim Mittag ist zu erkennen, dass immer mehr die klassischen Mahlzeiten weggelassen werden zugunsten des Snacks; beim beim Abendessen wird immer mehr auf Delivery zugegriffen. Diesen „Trend“ kann man schon seit ungefähr 10 Jahren erkennen. Hanni Rützler beschreibt das auch in ihrem neuen Food Report. Das Bäckerhandwerk hat die schon sehr lange erkannt und reagiert mit einem vielfältigen Angebot.
Nächstes Beispiele ist 'Delivery': Die Menschen sind im beständigen Flow der täglichen Aktivitäten, haben eine Doppelbelastung von Familie vs. Job, von Arbeit vs. Freizeit, leben in einem sozialen Lagerfeuer - real vs. digital, kleine und größere Mahlzeiten müssen in das Leben „on the go“ passen. Aus dieser Situation sind die Delivery- Services entstanden, die genau diesen Bedarf befriedigen. Dies wurde schon vor mind. 15 Jahren beschrieben.
Diese Beispiele kann man auf Grund der Demographie, den Arbeitsbedingungen, der Mobilität bedingt durch die Arbeitssituation, das moderne Leben in der Stadt und nicht mehr im Familienverband und der digitalen Vernetzung ableiten. Zudem wollen sich mehr als 80 Prozent der Menschen gesundheits- und umweltbewusst ernähren. 
Da gibt es noch sehr viel mehr Beispiele, die sich aber nur zu einem kleinen Teil in der Gastronomie und in der Gemeinschaftsverpflegung widerspiegeln. Hier wird ganz viel 'verschlafen' - und der Einzelhandel, das Bäckerhandwerk und Startups springt in dies Lücke."
Barbara Röder, Vorsitzende des Landesverbandes der Köche Hessen