„Unternehmen an ihrem Stolz packen“

Aktive Verantwortung für Mitarbeiter*innen, Umwelt und Region: Betriebskantinen stehen vor neuen Herausforderungen. Foto: CandyBox Images/Adobe Stock
Redaktion 27.10.2021 MAGAZIN  |  Kochkunst  |  Konzepte  |  Küchenmanagement  |  AKTUELLES

Als Vorsitzende und Geschäftsführerin des Vereins Food & Health, der jedes Jahr die besten Kantinen Deutschlands ermittelt, ist Theresa Geisel mit der aktuellen Lage in der Betriebsgastronomie bestens vertraut. Wir haben sie zu Branchentrends nach dem Re-Start interviewt.

KÜCHE: Frau Geisel, wenn Sie sich die Gesamtsituation der Betriebsgastronomie im Re-Start anschauen – welchen Eindruck haben Sie? Kann die Branche die neuen Herausforderungen meistern?
THERESA GEISEL: Im Zuge des diesjährigen Food & Health-Kantinentests haben wir mit vielen Verantwortlichen gesprochen. Das vorweg. Ob die Betriebsrestaurants gut genug aufgestellt sind und das Zeug haben, Herausforderungen zu meistern, hängt maßgeblich von den Firmen ab, in denen sie tätig sind. Betriebe, die eine Gastronomie noch immer als Versorgungspflicht wahrnehmen, sind dies wahrscheinlich eher nicht. Demgegenüber werden Firmen, die die Bedeutung der Betriebsgastronomie erkannt haben und aktiv Verantwortung für ihre Mitarbeiter, die Umwelt und die Region übernehmen, auch diese Herausforderungen überwinden – insbesondere mit Hilfe eines kreativen Teams.

Vieles hängt aber ja auch davon ab, wie sich das Homeoffice entwickelt und etabliert?
Selbstverständlich. Jetzt kommt es darauf an, Arbeitnehmern wieder einen Grund zu geben, das Homeoffice zu verlassen und sich mit ihren Kollegen zu treffen und auszutauschen. Hier kann die Betriebsgastronomie eine zentrale Rolle für die Bindung an das Unternehmen und den unabdingbaren zwischenmenschlichen Austausch einnehmen. Dafür muss sie Konzepte entwickeln, die ein sicheres Miteinander und Gemeinschaftsgefühl fördern. Diese Ideen suchen wir übrigens auch im Zuge unseres Kantinentests 2022, der jetzt zur Anmeldung über unsere Website www.food-and-health.org geöffnet ist.

Sie haben vorhin ja schon davon gesprochen, dass es bei den Unternehmen große Unterschiede gibt. Gibt es darüber hinaus allgemeine Tendenzen?
Langsam spürt man, dass die Unternehmensspitzen immer mehr erkennen, dass das Geschehen in der Betriebsgastronomie gelebte Unternehmenskultur ist und ganz klar die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern widerspiegelt. Eine starke Tendenz zu zukunftsweisenden Konzepten finden wir ganz klar in Bereichen, die unter hohem Wettbewerbsdruck um die besten Talente stehen. Das sind die IT-, Pharma-, Ingenieurs- und Versicherungsbranche.

„Die Unternehmensspitzen erkennen, dass das Geschehen in der Betriebsgastronomie gelebte Unternehmenskultur ist.“
Theresa Geisel

Die grundlegende Frage lautet ja: Müssen sich die Betriebs­restaurants „nach Corona“ neu erfinden?
Ich glaube nicht, dass sie sich komplett neu erfinden müssen. Ein „Weiter-so“ wird es aber auch nicht geben. Es ist dringend notwendig, sich der eigenen Rolle innerhalb des Unternehmens bewusst zu werden, diese innerhalb der Führung und bei den Gästen zu festigen und zu kommunizieren sowie proaktiv eine zentrale Rolle zu erarbeiten, indem eine enge Verzahnung mit anderen Fachbereichen angestrebt wird. Blinde Budgetkürzungen darf es nicht geben. Vielmehr können bereits kleine Investitionen Großes bewirken.

Ich glaube, dass es für ein Unternehmen immer Sinn macht, in eine gute Gastronomie zu investieren, um motivierte, gesunde Mitarbeiter zu beschäftigen, die sich an das Unternehmen gebunden fühlen und loyal sind. Die Betriebsgastronomie hat jetzt die Chance, zum zentralen Ansprechpartner und Berater im Unternehmen und für die Mitarbeiter zu werden. Dabei kann sie Maßstäbe setzen in den Bereichen Wertschätzung, Motivation, Identifikation mit dem Unternehmen, Begegnung und Austausch sowie Gesundheit und Ernährung, aber auch als Ort für erlebbare Nachhaltigkeit und Verantwortungsübernahme.

Inwieweit sind Lieferkonzepte für das Homeoffice, wie sie viele Betriebsrestaurants entwickelt haben und beibehalten, Ihrer Einschätzung nach ein guter Ansatzpunkt für mehr Umsatz?
Das ist schwer zu sagen und wird sich zeigen. Ich glaube, dass es am Ende des Tages zielführender ist, Gründe zu schaffen, damit die Gäste regelmäßig wiederkommen und vielleicht auch Essen mit nach Hause nehmen.

Gäste, die auch in Coronazeiten die Betriebsgastronomie aufsuchen, legen sehr großen Wert auf Hygiene und Sicherheit. Lässt sich sagen, dass diese Zielgruppe auch gesunde Ernährung verstärkt nachfragt?
Ich denke, dass die Coronakrise auch einen positiven Effekt hatte. Viele Menschen haben sich wieder verstärkt mit dem Thema Gesundheit auseinandergesetzt und dabei ganz speziell damit, welcher Zusammenhang zur Ernährung besteht. Auch das Kochen wurde wieder praktiziert. So ist sicherlich mehr Aufmerksamkeit auf das Thema gelegt worden. Die starke Zunahme von Einkäufen im Bio-Lebensmittelbereich während des Lockdowns ist da sicherlich ein Indiz, dass die Konsumenten verstärkt Sicherheit suchen, um Krankheiten vorzubeugen.

Wie sollten Köchinnen und Köche konkret vorgehen, die gesunde Ernährung stärker in der Betriebsgastronomie verankern möchten?
Das A und O sind Frische, Handwerklichkeit und Natürlichkeit. Das heißt regionale Produkte, die zu ihrer Saison reif geerntet werden und dann voller Geschmack sind, die schnellstmöglich und vor allem schonend verarbeitet werden, um so möglichst viele Nährstoffe zu erhalten. Diese sollten am besten als Rohware selbst weiterverarbeitet werden, damit der Einsatz von allerlei Zusätzen vermieden wird. Anschließend ist es wichtig, eine besonders vielfältige und ausgewogene Ernährung zu erzielen.

Und sollten sie bei ihrer Arbeit Nachhaltigkeit und Klimaschutz stärker einbeziehen?
Absolut. Aber das sollte jeder mündige Konsument tun. Uns muss klar sein, dass Essen und vorgelagert der Einkauf von Lebensmitteln eine politische Entscheidung für oder gegen ein gewisses System sind und ich dieses durch meinen Kauf fördere. Köche haben die einmalige Chance, ihren Gäste auf genussvolle und nicht erzieherische Weise diese Themen näher zu bringen und aufzuklären. Bei unserem jüngsten Kantinentest haben wir auf jeden Fall festgestellt, dass der Greta-Effekt auch in der Betriebsgastronomie angekommen ist und sich die Unternehmen immer mehr mit Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen.

Warum engagieren Sie sich für eine Betriebsgastronomie?
In unserem Verein Food & Health versammeln wir Menschen aus unterschiedlichsten Fachbereichen wie Gastronomie, Wissenschaft, Medizin, Kommunikation und Wirtschaft. Was uns alle verbindet: Wir sind mit partiellen Entwicklungen der Lebensmittelbranche in den vergangenen Jahren höchst unzufrieden. Parallel dazu steigt die Zahl der ernährungsbedingten Erkrankungen immer weiter und weiter. Die Hauptmahlzeit des Tages wird von großen Teilen der Gesellschaft nicht mehr zu Hause, sondern auch in den unterschiedlichsten Formen der Gemeinschaftsverpflegung zu sich genommen. Ein Unternehmen hier bei seiner Verantwortung für seine Mitarbeiter, aber auch seine Region, für eine Schonung der Ressourcen und der Einhaltung von Tierwohlstandards zu packen und auf einen Schlag teilweise viele tausend Essen täglich zu verändern, ist äußerst attraktiv.

Alleine die Betriebsgastronomie hat vor Corona 30 Millionen Essen in der Woche produziert. Hier Dinge zum Besseren zu verändern, das ist ein Hebel, der nicht zu vernachlässigen ist und der eine positive Veränderung durch die schiere Einkaufsmacht relativ weniger Player erzielen kann. Wir Vereinsmitglieder sind zwar ehrenamtlich aktiv. Aber wir freuen uns jedes Mal, wenn wir Unternehmen mit dem Kantinentest dort packen, wo ihr Stolz sitzt, und wenn wir ihnen sagen können: Schau mal, du kannst etwas Tolles für deine Mitarbeiter tun.

Vielen Dank für das Gespräch.


THERESA GEISEL
Jahrgang 1986

Theresa Geisel ist Vorsitzende und Geschäftsführerin des Vereins Food & Health e. V. mit Sitz in München. Der Verein ermittelt jährlich in Zusammenarbeit mit dem Magazin Focus die 50 besten Kantinen Deutschlands. Außerdem ist die Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt nachhaltiges Wirtschaften Projektmanagerin der Internationalen Eckart-Witzigmann-Preis-Gesellschaft und kümmert sich in diesem Rahmen um den Kulinarik-Preis „Eckart“.

www.food-and-health.org