Erfolgreich durch die Krise: "Innere Segel setzen"

Carsten Hennig rät zum Segeln auf dem blauen Ozean der Möglichkeiten - Foto: litchi-cyril-photographe-iStock-Getty
Interview Thomas Klaus 14.05.2020 Karriere

In Zeiten von Corona optimistisch zu bleiben, ist gar nicht so einfach. Hilfreich ist es aber in jedem Fall. Wir haben mit dem Branchenkenner Carsten Hennig über Optimismus in der Krise, ethisches Handeln im Gastgewerbe und wichtige Maßnahmen, die Köche und Gastronomen jetzt ergreifen sollten, gesprochen. 
 

KÜCHE: Herr Hennig, zu Beginn eine ganz persönliche Frage: Sind Sie von Haus aus eher Optimist oder Pessimist? 
CARSTEN HENNIG:
Da fällt mir die Antwort leicht: Ich bin Optimist. Das Glas ist für mich halb voll, immer!
 

Dann ist Ihre Antwort auf die nächste Frage fast schon vorgezeichnet. Für die Zukunft des Gastgewerbes, für die Zeit „nach Corona“, gibt es sowohl optimistische als auch pessimistische Szenarien. Welches Szenario halten Sie für wahrscheinlich? 
Meiner Meinung nach dürfen wir durchaus verhaltenen Optimismus an den Tag legen. Denn die letzten bekannten Indikatoren im Außer-Haus-Konsum und Tourismus zeigten konsequent nach oben; wir erlebten zehn Jahre in Folge einen Gastro- und Tourismus-Boom. Das ist doch ein solides Fundament, auf dem man aufbauen kann. Inwieweit es in Folge gekürzter Einkommen zur Konsumzurückhaltung kommt, bleibt abzuwarten. Vorausschauende Umfragen dazu sehe ich skeptisch, weil es einerseits zwischen Meinungsäußerung und tatsächlichem Verhalten stets eine Kluft gibt und andererseits Haltungsfragen stets schwankend sind. Zwar werden wir leider mit einer Marktbereinigung durch Insolvenzen oder Betriebsaufgaben in Folge der Krise rechnen müssen. Und es ist noch unklar, wie stark diese tatsächlich ausfällt. Dennoch haben wir auf jeden Fall Grund zu der Annahme, dass auch bei schrittweisen Lockerungen der Gästestrom in Richtung Gastronomie, Hotellerie, Tourismusdestinationen und Event-Hotspots wieder anschwillt. Allerdings wird der Gewinndruck ungleich höher sein.
 

Was genau sind die Gründe dafür?
Gründe dafür sind unter anderem aufgelaufene Verluste und Kreditlasten sowie steigende Energiekosten und Einkaufspreise für Rohwaren – und selbstverständlich der unvermindert hohe Konkurrenzdruck. Die Marktprobleme von Ende Februar werden wieder voll zuschlagen. Allerdings bei einem Thema bin ich nicht mehr optimistisch: Mitarbeitergewinnung. Der Kampf um talentierte Kräfte wird künftig noch härter werden. Etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden nun notgedrungen abwandern, um Geld verdienen zu müssen und sei es in der Ernte oder im Lebensmitteleinzelhandel oder in der DB-Gastronomie, die sehr beliebt geworden ist. Denn: Wer vom bisherigen, offiziellen Niedriglohn in der Gastronomie Kurzarbeitergeld erhält, dem reicht das einfach nicht aus. Da fehlen Erlöse aus Trinkgeldern und auch den weit verbreiteten Schwarzgeldzahlungen.

Entlarvend waren doch Äußerungen von bekannten Hamburger Gastronomen, die unumwunden zugaben, dass ohne staatliche Hilfe, sprich: Aufstocker, kein Job in der Gastronomie funktionieren würde. Das kommt einem Schuldeingeständnis gleich, dass Arbeit im Gastgewerbe offenkundig in zahlreichen Fällen schlecht bezahlt ist.
 

Einige Beobachter rechnen damit, dass sich in der Coronakrise die Spreu vom Weizen trennt, d.h. eine Reihe von Gastronomen wirtschaftlich nicht überleben wird, während andere hinterher besser aufgestellt sein werden. Wie sehen Sie das? 
Ich könnte jetzt richtig pathetisch werden und sagen: Der Traum von einer besseren Welt ist so alt wie die Menschheit an sich… In der Tat warten wir seit Jahrzehnten auf eine Aufwertung der Arbeit in der wunderbaren Welt der Gastronomie – in punkto gesellschaftlicher Anerkennung, ethischer Aufbesserung bei den Arbeitgebern und nachhaltiger „BeWERTung“ in punkto Lohn. Doch wir müssen gar nicht so weit sehen, um echte Vorbilder zu finden: Es gibt viele, viele mittelständische Profi-Gastgeber, die konsequent in ihren Familienbetrieb reinvestieren – und keine dauerhaften, verdeckten Gewinnentnahmen betreiben – und ihre langjährigen Mitarbeiter fördern und anständig bezahlen – ohne Schwarzgeld und ohne Tricks bei den Überstunden.

Mit der Kampagne ‘Hotelleaks’ haben wir ja im vergangenen Jahr miese Arbeitsverträge offengelegt – aber auch zahlreiche Bekenntnisse zufriedener Mitarbeiter veröffentlicht. Als Richtschnur im Wirtschaftsalltag empfehle ich stets die Aussagen des Deutschen Ethikrates und auch der Werte Foundation mit dem „Werte-Kodex” und seinen sieben Grundwerten Ehrlichkeit, Loyalität, Mut, Respekt, Weitsicht, Verantwortung und Zuverlässigkeit.
 

Ethisches Handeln ist also wichtig. Was sollten Gastgeber darüber hinaus unbedingt aus der Krise lernen? Haben Sie eine „Hitliste“? 
Eine Hitliste sähe bei mir so aus: 1. Einkauf optimieren, gegebenenfalls mit Hilfe einer Einkaufsgesellschaft; 2. Zweites Standbein konsequent aufbauen: Foodservice, Merchandising – mit smarter E-Commerce-Technologie (Webshop mit Easy Payment); 3. Vertriebsstrategie entscheidend mit “Stunde Null” umstellen: Direktvertrieb stärken und provisionsteure Vertriebskanäle reduzieren; 4. Employer Branding strategisch anpacken: Verlässliche Arbeitszeiten-Planung, fälschungssichere Arbeitszeitdokumentation, echte Mehrwerte für Mitarbeiter (zum Beispiel Leasing von eBikes oder Ähnliches). 
 

Wenn Sie sich speziell den Berufsstand der Köchinnen und Köche ansehen – mit welchen Änderungen rechnen Sie „nach Corona“? 
Das Dauerthema HACCP-Management rückt einmal mehr in den Vordergrund: Penible Hygiene und Sicherheit sowohl bei der Lebensmittelverarbeitung und allen anderen Arbeitsprozessen, allen voran die Einhaltung der Kühlketten, werden im Fokus der Öffentlichkeit liegen. Dahingehend ist eine freiwillige Teilnahme an einem Hygiene-Auditing, einem ‘Hygiene-Smiley’ erwägenswert.

Digitalisierung und Automatisierung nehmen stark zu, sei es durch innovative Gartechnologie oder auch Roboter-Unterstützung im Service. Das ist in Großküchen doch seit einem Jahrzehnt mitzuverfolgen, wie stark Küchentechnik Arbeitsplätze verdrängt beziehungsweise in vielerlei Fällen nur noch Hilfskräfte zur Bestückung nötig sind. Im Vertrieb und Marketing erleben wir derzeit einen entscheidenden Level-Anstieg in Sachen Digitalisierung: Da geht es doch längst um verbindliche Sitzplatzreservierung mit F&B-Vorbestellung wie bei einer Hotelbuchung – No-Shows von ‘Reservierungen’ über Restaurantportale muss sich meines Erachtens niemand mehr antun.
 

Viele Köche und Gastronomen blicken zurzeit ängstlich und sorgenvoll in ihre persönliche Zukunft. Wie können sie sich positiv „programmieren“, um zuversichtlicher zu werden?
Wie bei vielen anderen Berufsgruppen haben die Zwangsschließungen bei den Köchinnen und Köchen psychosoziale Folgen. Persönlich und als selbst Betroffener kann ich nur empfehlen, geistig rege und körperlich agil zu sein. Das bedeutet zum Beispiel täglich Fitness und Sport oder neue Interessengebiete anpacken wie zum Beispiel kostenfreie eLearnings. Innerlich müssen Segel gesetzt werden, raus auf den blauen Ozean der Möglichkeiten! Es hilft ja nichts, im Hafen rum zu dümpeln und zu versauern.

Vielen Dank für das Gespräch.


CARSTEN HENNIG

Der langjährige Fachjournalist, Key Noter und TV-Macher Carsten Hennig gilt als genauer und kritischer Beobachter von Tophotellerie und Spitzengastronomie.