"Disruptive Kraft der KI wird häufig unterschätzt"

Markus Michels: "Zu den Vorteilen von KI im Gastgewerbe gehören Effizienzsteigerung, Personalisierung des Kundenerlebnisses, verbesserte Entscheidungsfindung und Innovation in Service und Marketing." Foto: Michels
Redaktion 23.05.2024 MAGAZIN  |  Titelthema  |  AKTUELLES  |  News

Markus Michels ist Experte für Künstliche Intelligenz und unter anderem als Schulungsreferent für Branchenverbände tätig. Im Interview spricht er darüber, welche Hilfestellungen KI bieten kann – und welche „dicken Bretter“ im Gastgewerbe noch zu bohren sind.

KÜCHE: Herr Michels, wie schätzen Sie die Bedeutung ein, die Künstliche Intelligenz in den nächsten fünf Jahren im Gastgewerbe bekommen wird?
MARKUS MICHELS: Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz folgt seit einigen Jahren einer exponentiellen Kurve und wird in den kommenden Jahren das Gastgewerbe nachhaltig disruptiv verändern. Während die Mehrheit der Branche noch in linearen Mustern denkt, werden einige Vorreiter die rasante Entwicklung der KI nutzen, um sich einen großen Wettbewerbsvorsprung zu verschaffen. So wie das erste iPhone 2007 nicht das erste Smartphone war, aber eine neue Ära einläutete und prägte, werden KI-Systeme wie ChatGPT & Co. einen neuen Standard für benutzerfreundliche Technologie setzen. Dies bietet auch für das Gastgewerbe eine einzigartige Chance, Prozesse zu optimieren und die Guest Journey auf ein ganz neues Level zu heben.

Also wird sich KI Ihrer Meinung nach flächendeckend durchsetzen?
Perspektivisch wird KI keine Randerscheinung bleiben, sondern alle Bereiche des persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens erfassen und in einem Maße verändern, wie es sich die meisten Menschen heute nicht ansatzweise vorstellen können. Denn das eigentliche große Ziel von KI-Unternehmen wie OpenAI, Google oder Meta ist die Entwicklung der ersten Allgemeinen Künstlichen Intelligenz (AGI).

Was ist eine AGI genau?
Dies ist eine Form der KI, die fähig ist, jede Aufgabe zu verstehen, zu lernen und auszuführen, wie es ein menschliches Wesen kann. Eine solche Technologie würde nicht nur komplexe Aufgaben übernehmen, sondern auch eigenständig Entscheidungen treffen und mit unvorhergesehenen Situationen umgehen können. Eine AGI zu klonen, ist dann nur eine Frage von Rechenkapazitäten.

Interessant. Und wann wird es so weit sein?
Laut einer aktuellen US-Studie von Ark Invest und Metaculus erwarten die meisten KI-Forscher die erste AGI bereits Ende dieses Jahrzehnts – also in gut fünf Jahren.

Wie aufgeschlossen gegenüber KI sind die Unternehmer im Gastgewerbe Ihrer Ansicht nach?
Das Gastgewerbe zeigt eine zunehmende Offenheit gegenüber KI-Technologien, getrieben von der Notwendigkeit, auf den Fachkräftemangel zu reagieren und innovative Lösungen für ein besseres Gästeerlebnis zu finden. Die Branche erkennt allmählich, dass es nicht nur eine Frage der Haltung, sondern der strategischen Notwendigkeit ist, sich mit KI auseinanderzusetzen. In weiten Teilen der Branche herrscht noch Zurückhaltung und Skepsis gegenüber der Künstlichen Intelligenz, während eine Offenheit für die Digitalisierung im Allgemeinen durchaus vorhanden ist. Hier muss intensiv aufgeklärt und sensibilisiert werden. Die disruptive Kraft dieser Technologie wird häufig unterschätzt.

Was ist konkret zu tun?
Es müssen „dicke Bretter“ gebohrt werden. Es müssen Leuchtturmprojekte geschaffen und vor allem niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten angeboten werden. Unternehmer und Führungskräfte müssen frühzeitig mit konkreten Best Practices und Handlungsempfehlungen erreicht werden. Sie müssen befähigt werden, erfolgreiche KI-Strategien für ihre Betriebe zu entwickeln. Es braucht mehr konkrete Anwendungsbeispiele und niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten, damit die Gastgeber die Potenziale der neuen Technologien selbst ausloten und die ersten Schritte in diese Richtung gehen können. Nur wer die KI selbst erlebt hat, wird bereit sein, in eine tragfähige Implementierungsstrategie zu investieren. Dazu ist es essenziell, dass sich Gastgeber externe Expertise ins Haus holen.

Inwieweit können Profiköchinnen und -köche von Künstlicher Intelligenz profitieren?
KI-Textgeneratoren können Profiköche in vielerlei Hinsicht bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Zum einen lassen sich mit ihnen neue, kreative Rezepte erstellen und bestehende Kreationen optimieren. Zum anderen assistiert KI bei der Gestaltung oder Übersetzung von Speisekarten, bei der Erstellung von Angeboten oder bei technischen Abläufen in der Küche. Darüber hinaus sind KI-Systeme in der Lage, auf der Basis von Kundenpräferenzen und saisonalen Gegebenheiten abwechslungsreiche und zielgruppengerechte Speisekarten zusammenzustellen.

Was lässt sich zum Thema der personalisierten Gerichte sagen?
Eine besonders spannende Perspektive eröffnet sich durch die Verknüpfung von KI, Big Data und IoT (Internet of Things) im Hinblick auf personalisierte Gerichte. Durch die Analyse von Gästedaten wie Allergien, Präferenzen und Ernährungsgewohnheiten lassen sich maßgeschneiderte Menüvorschläge erstellen, die bislang ungekannte Möglichkeiten zur Kundenbindung bieten. Darüber hinaus ermöglichen KI-Systeme eine bessere Ressourcenplanung und können die Kreativität der Köche durch Ideenfindungsprozesse und Brainstorming anregen. Aber auch bei der Effizienzsteigerung der technischen Abläufe in der Großküche, beispielsweise beim Bestell- und Wareneingangsmanagement, kann Künstliche Intelligenz wertvolle Dienste leisten.

Wie lassen sich die wichtigsten Vorteile des Einsatzes von KI im Gastgewerbe zusammenfassen? Und wo sehen Sie mögliche Nachteile?
Zu den Vorteilen von KI im Gastgewerbe gehören Effizienzsteigerung, Personalisierung des Kundenerlebnisses, verbesserte Entscheidungsfindung und Innovation in Service und Marketing. KI kann auch dazu beitragen, die Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen, indem sie von Routineaufgaben entlastet werden. Die Umsetzung einer KI-Strategie ist unerlässlich, um diese Vorteile voll auszuschöpfen und gleichzeitig potenzielle Risiken, wie Datenschutzbedenken oder Herausforderungen bei der technischen Integration, zu bewältigen. Ein verantwortungsvoller Umgang mit KI und die Einhaltung ethischer Standards sind dabei unerlässlich. Besonderes Augenmerk sollte bei der operativen Umsetzung von KI auch auf die Akzeptanz der Gäste gelegt werden. Schließlich erwarten diese neben Kulinarik vor allem ein positives Gasterlebnis und keine technologiegetriebene Abfertigung. Bei aller Begeisterung für neueste Technologien wie ChatGPT & Co. gilt daher: Die Gastronomie ist und bleibt ein „People Business“. KI kann daher immer nur eine Unterstützung und kein Ersatz für einen Gastgeber „mit Herz“ sein. Der Schlüssel liegt in einer durchdachten KI-Strategie der Betriebe, inklusive kontinuierlicher Mitarbeiterschulung, denn ohne ein engagiertes Team wird es auch in Zukunft nicht gehen.

Herr Michels, vielen Dank für das Gespräch.


ÜBER MARKUS MICHELS
Michels ist Gründer und Geschäftsführer der CREA Werbeagentur GmbH, die sich mit ihrem Geschäftsbereich „Creazwo“ auf Hotellerie, Gastronomie und Tourismus spezialisiert hat. Das 23-köpfige Team bietet Full-Service-Marketing für Kunden in Deutschland und Österreich. Darüber hinaus verfügt die Agentur über eigene Programmierer im Geschäftsbereich Cloudware und hat neben individuellen Anwendungen auch Kilian entwickelt, den ersten KI-basierten Marketingassistenten für das Gastgewerbe. Markus Michels ist darüber hinaus gefragter Redner, Trainer und Berater in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Online- und Social-Media-Marketing.
www.creazwo.de   


Mehr zum Thema „KI im Gastgewerbe” lesen Sie in der kommenden KÜCHE 6-2024, die am 6. Juni erscheint.