Spitzenkoch Jan Hartwig sorgte bei der diesjährigen Verleihung der neuen Sterne des Guide Michelin für eine kleine Sensation. Nur sechs Monate nach der Eröffnung seines Restaurants JAN in München zeichneten die Inspektoren des traditionsreichen Restaurantführers die Küche des 40-Jährigen aus dem Stand mit der Höchstbewertung aus. Damit ist Jan Hartwig nach seinem Weggang aus dem Atelier im Bayerischen Hof in Rekordgeschwindigkeit erneut einer von zehn 3-Sterne-Köchen in Deutschland. Für uns keine große Überraschung – wir haben Jan Hartwig kurz vor der Preisverleihung im JAN besucht.
Ich bin so glücklich, weil ich im Kopf so frei bin“, sagt Jan Hartwig, als wir ihn drei Monate nach der Eröffnung seines Restaurants „JAN“ im Januar in München treffen. Und das strahlt der 40-Jährige auch aus. Hartwig ist spürbar angekommen – bei sich und in seiner neuen Wirkungsstätte, die sich von außen und innen ebenso durchdacht minimalistisch präsentiert wie seine besten Kreationen.
Fast könnte man versehentlich vorbeilaufen am historischen Rhaetenhaus in der Luisenstraße nahe des Münchner Museumsquartiers, wo im Erdgeschoss versteckt hinter diskreten Rollos das JAN liegt. Aber nur, wenn im letzten Moment nicht doch noch das große Fenster an der Seitenfassade ins Auge fallen würde, das einen unverhüllten und faszinierenden ersten Blick in das Innere der Küche, in das „Labor der Liebe“ gewährt.
Strumbel, das Labor und die Liebe
Labor der Liebe – drinnen im Restaurant steht das nicht nur über dem Eingang zur Küche, die zum Gastraum weitgehend offen ist, sondern findet sich auch als Botschaft in den Bildern des bekannten Pop-Art-Künstlers Stefan Strumbel, der den Begriff geprägt hat. Strumbel, mit Hartwig befreundet, ist dafür bekannt, dass er in seinen Kunstwerken gerne mit traditionellen Vorstellungen spielt, sie provokant hinterfragt („What the fuck is Heimat?“), ihre Widersprüche aufzeigt und in Szene setzt. Aber wie kann die Küche Jan Hartwigs ein „Labor“ sein? Hier wird doch nicht in Reagenzgläsern gekocht.
Die Idee vom Labor irritiert zunächst. Auch wirkt Strumbels Kunst wie ein Widerspruch zum schnörkellosen Design des Gastraums mit seinen klaren Linien, hellen Farben, den runden Tischen aus geköhlter Eiche und den edlen Polsterstühlen – ein ebensolcher Widerspruch wie das „Labor“ zur Kulinarik Jan Hartwigs. Und trotzdem passt es. Denn im eigenen Restaurant mit Platz für 40 Gäste (plus Private Dining) hat Jan erstmals die Freiheit, seiner Liebe zur Kochkunst eine Heimat zu geben, in der Traditionen der Spitzengastronomie hinterfragt und in seinem Sinne neu interpretiert werden. Rechnen soll sich das Ganze natürlich auch.
Mittags und abends die Quintessenz
„Das hier ist ein Restaurant, das sicherlich mit manchen Regeln bricht“, sagt Jan Hartwig. „Wir haben nur vier Tage auf, dafür aber an drei Tagen auch mittags. Ich persönlich bin ein Lunchesser und liebe Mittagessen. Ich finde es immer sehr schade, wenn ich als Gast extra anreise und bekomme dann mittags nur ein abgespecktes Angebot.“ Im JAN ist das anders – hier kann der Gast auch mittags das volle 7-Gänge-Menü und die Signature Dishes von der Extrakarte genießen. Preis pro Person 295 Euro zuzüglich Getränke. Wem das dann doch zu viel ist, der kann mittags auch nur fünf Gänge bestellen – für 225 Euro. 90 Prozent seiner Gäste wählen auch am Mittag das große Menü, freut sich Hartwig.
"Ich verbringe unfassbar viel Zeit mit der Entwicklung meiner Gerichte."
Und was darf der Gast kulinarisch erwarten? „Jan Hartwig in der Quintessenz“, sagt der Hausherr lachend. Und die hat der Guide Michelin schon zu Atelierzeiten definiert als „Gerichte, die präzise und durchdacht bis ins Detail sind, eigene Identität inklusive“. Auf den Lorbeeren der Vergangenheit möchte sich der Koch allerdings nicht ausruhen: „Ich versuche, nicht zu viel nach hinten zu schauen, aber auch nicht zu viel nach vorne. Ich mache meine Arbeit, so gut ich kann – und möchte, dass die Leute Spaß daran haben.“ Spaß macht schon mal der Einstieg ins aktuelle Menü mit Jans wunderschön anzuschauender Interpretation eines Klassikers (Seite 4/5): Carne cruda – Kalbstatar mit zweierlei Kohlrabi, Zwiebel und Parmesan in einem Zwiebelsud, betupft von Wasabi. „Kraftvoll, dabei frisch und elegant“, so die Empfehlung des Küchenchefs.
„Ganz ehrlich, ich denke mir wirklich, wirklich viel bei allen Gerichten“, gesteht Hartwig. Es sei ihm wichtig, den eigenen Stil schon auf den ersten Blick erkennbar zu machen, was mit der Felsenrotbarbe, die mit Couscous, Joghurt und fermentiertem Knoblauch das aktuelle Menü bereichert, ebenso gelungen sein dürfte wie mit der geheimnisvollen „Ureiche“, die den im Naturkeller gereiften Käse von Jamei Laibspeis aus Kempten in Szene setzt. „Man sieht erst einmal nur Käse – die Gäste wundern sich dann immer, wo die anderen Zutaten geblieben sind, die auf der Karte stehen“, erzählt Jan augenzwinkernd. Aber das sei das Besondere an diesem Gericht: „Man isst es von oben nach unten wie ein Joghurt und entdeckt dann das Zusammenspiel der Zutaten: die Röstzwiebel mit ihrer Süße, die Bittersalate, also Chicorée und Radicchio, die etwas Herbes, Knackiges, Frisches dazugeben. Das Gericht ist ein Hybrid aus Käsegang und Vordessert, weil es einerseits eine Süße hat und dazu das kräftige Umamireiche, das der Käse mit sich bringt.“
„Ein Mammutprojekt, das nie zu Ende ist“
Er verbringe unfassbar viel Zeit mit der Entwicklung seiner Gerichte, so Hartwig. „Das ist echt ein Mammutprojekt, das nie zu Ende ist. Ich setze mich ja nicht einfach hin und sage: So, es ist Zeit, jetzt muss ich wieder ein Menü schreiben. Sondern die Entwicklung, das Kreative, das mache ich jeden Tag – ob ich in der Küche stehe, frei habe oder krank bin – ich beschäftige mich immer damit. Immer.“ Worauf es ihm dabei besonders ankommt, zeigen auch Jans Signature Dishes. „Ich versuche einfach, traditionelle Gerichte mit einem Augenzwinkern zu kochen. Das Hechtnockerl zum Beispiel ist im Prinzip ein uralt-klassisches Gericht der französischen Küche: Quenelle de brochet. Ich würde sagen, ich habe sie entschlackt – gefüllt mit einer Kaviarbutter schmeckt sie einfach hinreißend.“
Hinreißend funktioniert natürlich nur mit hochwertigen, möglichst nachhaltig hergestellten Produkten, wie etwa dem Spanferkelrücken aus artgerechter Tierhaltung der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall oder der Bio-zertifizierten Schokolade von Eberhard Schell im aktuellen Dessert. „Das Besondere ist, dass die Schokolade mit 75 Prozent Kakaoanteil in Deutschland hergestellt wird, in dem Fall in Baden. Nur der Rohkakao kommt aus Honduras. Mit Fairtrade für fairen Handel kann ich mir zumindest einigermaßen sicher sein, dass keine Menschen ausgebeutet werden. Und als Schokoladenmousse unter dem Eis, mit Erdnuss und Karamell entsteht eine Art Edelsnickers – das schmeckt, glaube ich, fast jedem.“
"Nicht so viel nach rechts und links schauen."
Sich von anderen für die eigenen Kreationen inspirieren lassen – auf Instagram und anderswo – davon hält Jan Hartwig wenig. Kopieren stehe der Entwicklung einer eigenen Handschrift eher im Wege – und die brauche es nun mal, wenn man in der Sternegastronomie erfolgreich sein wolle. Er rät: „Nicht so viel nach rechts und links schauen.“ Sich stattdessen fokussieren, zielstrebig und diszipliniert die eigenen Ziele verfolgen und frei im Kopf sein, um die eigene Kreativität ausleben und neue Geschmackserlebnisse kreieren zu können. Darauf komme es an. Handwerkliches Können immer vorausgesetzt.
Drei Sterne vom Guide Michelin
Unterstützt wird Jan Hartwig übrigens von acht jungen Köchinnen und Köchen, die alle namentlich in der Speisekarte erwähnt werden. Im Service sorgt ein ebenfalls junges Team für eine ungezwungene Atmosphäre – Sommelier Jochen Benz, ehemals Restaurant Atelier im Bayerischen Hof, für die passenden Weinempfehlungen.
Jan Hartwigs Konzept ist aufgegangen: Zwei Monate nach unserem Besuch hat der Guide Michelin das JAN aus dem Stand mit drei Sternen ausgezeichnet. Das silberne Michelin-Männchen – zuvor unauffällig in der Küche platziert – hat jetzt wieder einen gut sichtbaren Platz in Jan Hartwigs Labor der Liebe.
ÜBER JAN HARTWIG
Der Spitzenkoch wuchs im niedersächsischen Landkreis Peine auf, wo seine Eltern bis heute einen Waldgasthof betreiben. Nach seiner Ausbildung im Restaurant Dannenfeld in Braunschweig kochte Jan Hartwig zunächst für die Dinner-Show „Pomp Duck and Circumstance“ in Berlin, bevor er 2005 zum 2-Sterne-Restaurant Kastell unter der Leitung von Christian Jürgens in Wernberg-Köblitz wechselte. Es folgten ab 2006 Stationen im späteren 3-Sterne-Restaurant Gästehaus Klaus Erfort in Saarbrücken und im 3-Sterne-Restaurant Aqua bei Sven Elverfeld in Wolfsburg. 2014 wurde Hartwig Küchenchef im Restaurant Atelier des Bayerischen Hofs, das 2015 mit zwei und ab 2017 als einziges Restaurant in München mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. 2021 machte sich Jan Hartwig zunächst mit einem Pop-up selbständig – Ende Oktober 2022 eröffnete er das „JAN“ in München. Der 40-Jährige wurde mehrfach von Restaurantführern als „Koch des Jahres“ ausgezeichnet, war u. a. in der TV-Show „Kitchen Impossible“ zu Gast und veröffentlichte 2021 mit „Sterne leben“ sein erstes Buch. Sechs Monate nach der Eröffnung des JAN erhielt Jan Hartwig aus dem Stand drei Sterne für seine Küche im Restaurant JAN.
www.jan-hartwig.com