Kolumne von Jürgen Gärtner: Mutmacher

Jürgen Gärtner: "Begeistern wir junge Menschen für unsere Branche, zeigen wir ihnen die Vielfalt und die Freude an dieser Arbeitswelt." Foto: Gärtner
27.03.2024 MAGAZIN  |  Konzepte  |  Karriere

Die großen Branchenevents in Stuttgart und Hamburg sind vorbei. Was haben wir nicht alles gesehen und gehört. Jetzt sollte man Zeit haben, alle Informationen vernünftig zu verarbeiten, mit dem eigenen Umfeld abzugleichen, die aufgezeigten Umsetzungsmöglichkeiten zu bewerten und gegebenenfalls weiterzuverfolgen. Aber schon ist man wieder im Tagesgeschäft und weg sind sie, die guten Ideen für viele spannende Veränderungen. Wobei, vielleicht ist das gar nicht so schlimm. Täglich muss man eine Flut von Negativmeldungen verarbeiten, deren Inhalt über den Zustand und die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland manchmal schnell zu der Überlegung führt, ob man nicht lieber gleich den Schlüssel abziehen sollte. Oder sollte man damit noch etwas warten? Man muss ja nicht immer der Erste sein. Vielleicht sieht die Zukunft ja gar nicht so düster aus, wie manch einer suggeriert.

Wir alle haben uns einer Branche verschrieben, die viel persönliches Engagement erfordert, die kein Nine-to-five-Job ist (und hoffentlich im Sinne unserer Gäste auch nicht wird). Es ist auch weniger ein Job als eine Berufung. Diese erfordert Können, Hingabe, Empathie gegenüber Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen und Gästen, Freude an den schönen Dingen des Lebens, visionäre Fähigkeiten und bedingungslose Bereitschaft zur Dienstleistung.

Das Zukunftsinstitut definiert Vision als „motivierende, positiv formulierte Vorstellung des Zustandes, den man mit seinem Unternehmen erreichen will“. Sicherlich haben Sie täglich Aufgaben zu bewältigen, die sich nicht einfach mit „Visionen“ lösen lassen. In der Regel sind es harte Fakten, To-dos, die keinen Aufschub dulden oder plötzlich auftretende Ereignisse, die parallel zum Tagesgeschäft „gemanagt“ werden müssen. Das ist so und wird immer so bleiben. Es sei denn, man zieht den Schlüssel ab. Aber wer will das schon? Ihre Gäste auf keinen Fall, Ihre Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen und Lieferant:innen sicherlich auch nicht. Also braucht es Mutmacher. Mutmacher, die jeden Tag hör- und sichtbar genau das vorleben, was man sich von passionierten Gastgeber:innen wünscht. Eine ideenreiche, konzeptionelle Gastronomie, die Gäste zum Besuch inspiriert und zu „Wiederholungstätern“ werden lässt, die junge Menschen auf die Berufsbilder der Branche aufmerksam macht und Interesse für eine Ausbildung als Gastgeber:in weckt, egal ob in der Küche, im Restaurant oder in der Administration. Hauptsache, sie kommen, lassen sich vom „Gastgeber-Virus“ anstecken und bleiben der Branche viele Jahre treu.

Hier sind die Mutmacher unter uns gefragt. Begeistern wir junge Menschen für unsere Branche, zeigen wir ihnen die Vielfalt und die Freude an dieser Arbeitswelt. Und vermeiden wir das Wort „Industrie“ im Zusammenhang mit unserer Branche. Wir sind Wirt:innen, Hoteliers, Handwerker:innen, Individualist:innen, Fachleute für Gastlichkeit – diese Werte drückt das Wort „Industrie“, das für Massenproduktion und standardisierte Produktionsverfahren steht, meiner Ansicht nach nicht aus. Wir sollten den jungen Menschen genau sagen, was sie in unserer Branche erwartet – ohne Schönfärberei, aber mit den positiven Seiten. Schildern wir ihnen realistisch, wie viel Freude es macht, in einem motivierten Team zu arbeiten, wie viel Freude es macht, Menschen glücklich zu machen, Menschen die schönsten Tage ihres Lebens gestalten zu dürfen, Menschen in schweren Lebensabschnitten herzlich und gekonnt zu umsorgen und ihnen damit wieder Lebensfreude zu schenken. Dass dies natürlich mit Mühe, körperlicher Anstrengung, fachlichem Können und manchmal auch mit Entbehrungen verbunden ist, kann ein junger Mensch dann sicher verstehen und auch bewerten.

Und noch etwas ist zu bedenken: Welcher junge Mensch möchte sein Berufsleben in einer Branche beginnen, die täglich von Fachkräftemangel, wirtschaftlichen Hürden, Betriebsverlusten und Gaststättensterben berichtet? Das klingt nach Grabgesang. Warum nicht stattdessen auf die stattliche Zahl von Hotelneubauten, von Übernahmen gastronomischer Konzepte zu teilweise gigantischen Kaufpreisen hinweisen? Es gibt sie noch, die Mutmacher, die der Branche eine gute Zukunft mit profitablem Wachstumspotenzial voraussagen.

Wer auf der IKA/Olympiade der Köche in Stuttgart etwas länger verweilen und besonders die jungen Kolleg:innen bei der Arbeit beobachten konnte, hat sicherlich die Begeisterung und das „Feuer“ erkannt, mit dem dort gearbeitet wurde. Alle am Projekt „IKA“ Beteiligten sind im positiven Sinne auch „Infizierte“, denen kein Weg zu weit, keine Arbeit zu mühsam und keine Zeit zu viel war. Das ist es, was uns ausmacht: im Team arbeiten, jeder an seinem Platz für ein Ergebnis, das anderen Freude macht. So „ticken“ Mutmacher. Werden auch Sie einer.

Ihr Jürgen Gärtner


ÜBER Jürgen Gärtner

Jürgen Gärtner, Küchenmeister und Hotelbetriebswirt, seit 46 Jahren in der Branche, seit 11 Jahren im Hause Edgar Fuchs GmbH für die Bereiche Business Development und Consulting verantwortlich.