In den vergangenen zwei schweren Jahren zeigte die Gastronomie reichlich Flexibilität und Kreativität, immer verbunden mit der Frage: Welche Art Gastronomie wird in Zukunft gefragt sein? Der unterhaltsame Kessel Buntes für alle, oder vielleicht doch eher die fokussierte Gastro mit individuellem Konzept?
Neulich besuchte ich ein alteingesessenes Wirtshaus, das sich unter neuer Leitung jetzt der Bistronomie verschrieben hatte, jener lässigen Idee, die die klassischen Tugenden der französischen Bistroküche mit einer neu gedachten und reduzierten Form gehobener Gastronomie verbindet: Unprätentiös und zu erschwinglichen Preisen soll sich jeder Gast wohlfühlen. Das Konzept der Bistronomie ist international erfolgreich, ein Kind der Zeit. Auf der Karte des Restaurants, das zuvor für bodenständige Küche bekannt war, fanden sich allerdings nur Spuren französischer Bistronomie, denn die alten Klassiker behielten ihren Platz. Mit dem geballten Mut des konzeptionellen Neustarts wollte man wohl keinesfalls die Stammgäste vergraulen. Das mag einleuchten, wenngleich ich ein wenig enttäuscht war.
Gute Wirtshausküche bekomme ich auch anderswo, die angekündigte französische Bistro-Leichtigkeit hatte mich neugierig gemacht. In den vergangenen zwei schweren Jahren zeigte die Gastronomie reichlich Flexibilität und Kreativität, immer verbunden mit der Frage: Welche Art Gastronomie wird in Zukunft gefragt sein? Der unterhaltsame Kessel Buntes für alle, oder vielleicht doch eher die fokussierte Gastro mit individuellem Konzept? Dass beides miteinander vereinbar ist, beweisen jene Betriebe, die mit großem Selbstverständnis kulinarische Crowdpleaser wie Wiener Schnitzel, Austern, Sushi und Spaghetti Bolognese erfolgreich auf einer Karte führen und sich darüber hinaus über die Gastgebertugenden und das Interior definieren. Wer viel anbietet, muss allerdings auch viel vorrätig haben, es braucht kundiges Küchenpersonal, um seinen Gästen eine solche Bandbreite in bester Qualität liefern zu können.
Das wird zunehmend schwieriger. Kaum haben wir Corona (zumindest gefühlt) im Griff, quälen Personalmangel, steigende Energiekosten und hohe Lebensmittelpreise die gebeutelte Branche. Hinzu kommt eine neue Unlust am Ausgehen, die aus den allgemein gestiegenen Kosten durch die Inflation resultiert. Konsumverzicht als Sparmaßnahme in unsteten Zeiten.
Im Resultat ist eine Minimierung des eigenen Risikos angebracht. Stellschrauben, die länger schon bewegt werden und durchaus positive Entwicklungen aufzeigen, sind dafür etwa die 4,5-Tage Woche oder die Fokussierung auf nur noch ein Menü mit Wahl der Anzahl der Gänge und vegetarischen Alternativen. Wer sich auf ein Menü konzentriert, bleibt in der Gestaltung tagesaktuell flexibel und kann marktnah kalkulieren. Fehler werden vermieden, die Arbeitszeiten in der Küche gestrafft.
Reduktion hilft auch bei Konzepten mit klarem Profil: Ein Schwerpunkt – und den einzigartig gut, das ist das Erfolgsrezept neuer neapolitanischer Pizza-Läden, der modernen Taquería, der Ramen-Bar. In Großstädten sind monothematisch zugespitzte Gastroangebote wie Frühstücksrestaurants, Fritten-Bars oder vegetarische Dönerläden erfolgreiche „One Food Wonders“. Weniger im Angebot zu haben kann aber auch in Restaurants klassischer Prägung einen erheblichen Mehrwert bedeuten.
Es ist sinnvoll, den eigenen USP (unique selling proposition, Alleinstellungsmerkmal) und die damit verbundene Philosophie einmal zu definieren – und diese dann auch einzulösen und klar zu kommunizieren. Das beginnt beim Onlineauftritt bis hin zur Ansprache im Restaurant. Und das gelingt gerade auch mit reduziertem Angebot: Die Qual der Wahl bleibt eine Qual, die aufgeräumt pointierte Karte zeigt Qualitätsbewusstsein und Kompetenz mit einer machbaren Anzahl an Gerichten, mit der Fokussierung auf die eigene Philosophie und einem klar umrissenen Angebot, das dem Gast suggeriert: Das bekomme ich nur hier und nur hier so gut!
Ihr Stevan Paul