"Manche Erfahrungen machen mich traurig"

Pia-Engel Nixon: "Unsere Kinder sind unsere Zukunft. Deshalb sollte es unser aller Interesse sein, ihnen die besten Voraussetzungen zu geben – auch in Kita und Schule." Foto: Nixon
Interview Pia-Engel Nixon 01.11.2023 MAGAZIN  |  Titelthema  |  Konzepte

Die Köchin Pia-Engel Nixon sieht positive Entwicklungen in der Kita-Verpflegung, aber auch noch viel Luft nach oben. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen bei Kochkursen mit Kindern, „Gebrabbel“ beim Essen, Ernährungsbildung und kleine Sünden.

KÜCHE: Frau Nixon, Sie sind selbst Mutter von zwei Kindern im Kita-Alter und gleichzeitig Köchin. Was ist Ihr Eindruck? Ist die Kita-Verpflegung auf dem richtigen Weg?
PIA-ENGEL NIXON: Unsere Kita kann ich mittlerweile mit der Note „gut“ bewerten, aber es gibt noch Luft nach oben. Gerne dürfte es mehr Bio und weniger Zucker sein. Ich frage meine Mädels jeden Tag, was es zu Mittag gab und wie es ihnen geschmeckt hat. Zu 90 Prozent sind meine Mädels zufrieden und finden es lecker. Ab und zu gibt es Kritik, weil etwas nicht schön angerichtet war: Das Auge isst halt mit. Unsere Kita wird von einer bekannten Firma mit Tiefkühlkost beliefert. Hier hat sich das Angebot in den letzten Jahren sehr verbessert. Es gibt sehr viele neue vegetarische oder vegane Alternativen und von jeder Sorte auch etwas in Bio-Qualität. Grundsätzlich würde ich sagen, dass sich die Verpflegung in den Kitas und auch in den Schulen in den letzten Jahren durchaus positiv weiterentwickelt hat. Das finde ich sehr erfreulich. Denn unsere Kinder sind unsere Zukunft. Deshalb sollte es unser aller Interesse sein, ihnen die besten Voraussetzungen zu geben – auch in Kita und Schule.

Sie bieten auch Kochkurse für Kinder und Schüler an. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Mit Kindern gemeinsam zu schnippeln und in den Töpfen zu rühren, ist mit das Schönste an meinem Beruf! Ich bin immer wieder erstaunt, wie konzentriert und geduldig selbst die Kleinsten beim gemeinsamen Zubereiten von Speisen sind. Kinder sind von Natur aus neugierig und wissbegierig. Wie ein Schwamm saugen sie neue Informationen auf. Deshalb ist es im Grunde leicht, sie für das Kochen und Essen zu begeistern. Kinder sind zu vielem fähig. Man darf ihnen ruhig auch im jungen Alter etwas Verantwortung übertragen. 

Gilt das auch für Ihre eigenen Kinder?
Meine Kinder dürfen von klein auf in der Küche mithelfen. Sei es Teig kneten oder Gemüse schnippeln. Mittlerweile haben sie auch eigene Küchenmesser. Natürlich gab es auch schon Verletzungen, aber auch das sind Erfahrungen, die zum Lernen dazugehören. In meinen Workshops kommt es sehr oft vor, dass Kinder Gerichte probieren, die sie vorher nie angerührt hätten. Und Gerichte, die aus Kindersicht nicht so beliebte Zutaten wie Pilze oder Kräuter enthalten, werden in der Gruppe dann doch probiert und vielleicht sogar geliebt. Der Moment, in dem Kinder ein Lebensmittel neu entdecken, ist unbezahlbar. Es zeigt, dass man auch als Erwachsener immer wieder probieren sollte. Der Geschmackssinn ändert sich bekanntlich, und so kann man doch manchmal positiv überrascht werden.

Aber nicht alle Erfahrungen in den Workshops waren positiv?
Es gibt auch Erlebnisse in meinen Workshops mit Kindern, die mich immer wieder traurig machen. Zum Beispiel, wenn Kinder ohne Frühstück in die Schule geschickt werden, das für sie so wichtig ist, um gut und gestärkt in den Tag zu starten. Oder wenn man bei der Beobachtung eines Kindes fast erraten kann, was sich in der Brotdose befindet. Seien es Kinder, die durch falsche Ernährung und zu wenig Bewegung viel zu viel Gewicht mit sich herumtragen. Oder Kinder, die durch zu viel Zucker in ihrer Ernährung durch Unkonzentriertheit und Unterrichtsstörungen auffallen. Und nicht zu vergessen die Kinder, die eine schlechte Mundhygiene haben. Ursache ist häufig der hohe Zuckergehalt in Getränken. Hier kommt die Ernährungsbildung der Eltern ins Spiel. Leider verstehen sie den Bildungsauftrag der Kitas und Schulen oft falsch. Denn grundlegende Kenntnisse für die allgemeine Gesundheit, Hygiene und das Miteinander müssen die Erziehungsberechtigten vermitteln, nicht die Erzieher und Lehrer.

Und was raten Sie Köchinnen und Köchen, die auch Kochkurse für Kinder organisieren wollen?
Erstens: Kinder haben in der Regel keine lange Ausdauer oder Konzentrationsfähigkeit. Deshalb sollte man einen gemeinsamen Kochworkshop einfach und kurz halten. Wichtig sind schnelle Erfolgserlebnisse, bei denen zum Beispiel das fertige Gericht schön angerichtet auf einem Teller präsentiert werden kann. Zweitens sollte man die Kinder mitentscheiden lassen, was auf den Tisch kommt. Man kann sie zum Beispiel nach ihren Lieblingsgerichten fragen und diese selbst zubereiten. Drittens: Kinder sollten in die Planung und den gesamten Ablauf einbezogen werden. Dazu gehört zum Beispiel auch das Eindecken, Anrichten, Entsorgen oder Aufbewahren von Resten und das Putzen. Viertens: Gemeinsam einkaufen, ist sinnvoll, damit die Kinder Angebote sehen, Neues entdecken, mit Geld umgehen und rechnen lernen. Fünftens: Vielleicht einmal einen Bauernhof oder einen Handwerksbetrieb besuchen, um zu zeigen, wie Tiere aufwachsen und auch, was aus Tieren hergestellt wird. Auf diese Weise wird eine Wertschätzung für das Endprodukt vermittelt, zum Beispiel für die Leberwurst oder die Eierpfannkuchen. Sechstens: Man sollte den Kindern Verantwortung übertragen. Man sollte sie machen lassen, auch wenn es vielleicht den einen oder anderen Schnitt oder Ratscher gibt. Siebtens: Später sollte gemeinsam ohne Zeitdruck gegessen werden, aber bitte mit viel Gebrabbel! Kinder haben eine unheimliche Dynamik, wenn sie gemeinsam am Tisch sitzen, essen und plaudern. So kann man selbst den größten Brokkoli-Hasser bekehren. 

Doch inwieweit sind kleine „Sünden“ erlaubt?
Natürlich gilt wie bei allen Produkten: Lesen, was drin ist! Wenn ich schon beim Lesen nicht verstehe, was drin ist, dann versteht es mein Körper erst recht nicht! Aber es gibt mittlerweile sehr gute Convenience-Produkte ohne Zusatzstoffe. Bei Süßigkeiten bin ich ziemlich streng. Zucker ist in fast allen Fertigprodukten enthalten. Auch Obst, Gemüse und Milch enthalten Zucker. Es ist zwar natürlicher Zucker, aber es ist trotzdem Zucker. Nicht schlechter, nicht besser. Deshalb gilt für mich: Industriell hergestellte Süßigkeiten haben in Kitas und Schulen nichts zu suchen! Sie haben einfach keinen Mehrwert und bringen nichts Positives. Der natürliche Zucker, der beispielsweise in Obst und Gemüse steckt, reicht vollkommen aus. Außerdem darf man nicht vergessen, wie viele Süßigkeiten ohnehin schon genascht werden, wenn man an all die Kindergeburtstage, das Eis an einem heißen Tag, den Nachtisch nach dem Mittagsessen und die Bonbons von Oma und Opa denkt. Die Lust auf Süßes kann man sehr gut an-, aber auch sehr gut wieder abtrainieren, indem man Süßes einfach stark reduziert.

Wie machen Sie das bei Ihren eigenen Kindern?
Ich belohne meine Kinder gerne mal mit einem Eis oder ein paar Gummibären, aber sie freuen sich ebenso über eine Schale frischer Himbeeren mit Joghurt und etwas Honig oder eine eisgekühlte Wassermelone. Generell gilt wie bei allem: Alles in Maßen und nicht in Massen genießen.

Was halten Sie von Fleisch auf dem Speiseplan von Kindertagesstätten?
Fleisch ist wichtig für die Entwicklung von Kindern und sollte auf jeden Fall auf dem Speiseplan stehen. Allerdings gehören für mich weniger die fettigen und stark gewürzten Fleischaufstriche und Aufschnitte, sondern eher ein Stück Hühner- oder Rindfleisch, am besten natürlich aus nachhaltiger und artgerechter Haltung und ohne Antibiotika oder was den armen Tieren sonst noch so verabreicht wird. In dieser Form dann gerne, aber bitte nicht jeden Tag. Zweimal die Woche reicht völlig. Dazu kommen ja immer noch die Bratwurst im Tierpark am Wochenende und das Sonntagsbrötchen mit Leberwurst.

Frau Nixon, vielen Dank für das Gespräch.


PIA-ENGEL NIXON

Nach dem Abitur zog es Pia-Engel Nixon (Jahrgang 1978) Ende der 90er -Jahre nach Sydney in Australien, um Grafikdesign zu studieren. Erstmals von ihrer Familie getrennt, entdeckte sie in Down Under ihre Leidenschaft fürs Kochen. 2008 eröffnete Nixon zusammen mit Jim Larcan das Restaurant „Pyrama“ in Sydney, bekannt für seine moderne australische Cuisine. Zehn Jahre später kehrte Nixon in ihre Heimat, das Ruhrgebiet, zurück, wo sie 2010 die erste Weber Grill Akademie in Nordrhein-Westfalen gründete. 2011 folgte ihr eigenes Unternehmen „Engel‘s Küche“. Als Showköchin, Grillexpertin und Eventköchin war sie in ganz Deutschland unterwegs. Von 2016 bis 2018 führte Pia-Engel Nixon zudem das Restaurant „Nixon“ im Golfclub Haus Leythe in Gelsenkirchen. Heute ist die zweifache Mutter häufig in Kochsendungen im Fernsehen zu sehen, unter anderem auf Kabel Eins und im Sat.1 Frühstücksfernsehen.

www.piaengelnixon.de