Zwischen Hoffnung und Realität: Warum die Mehrwertsteuersenkung für Gastronomen kein Selbstläufer ist

Berater Björn Grimm analysiert die wirtschaftlichen Auswirkungen der geplanten Mehrwertsteuersenkung – und warnt vor zu hohen Erwartungen in der Gastronomie. © Foto: Björn Grimm
Björn Grimm 22.07.2025 MAGAZIN  |  Konzepte  |  AKTUELLES  |  News

Betriebsberater Björn Grimm zeigt in einer Beispielrechnung, warum die geplante Mehrwertsteuersenkung auf Speisen für viele Gastronomen keine spürbare Entlastung bringt. Steigende Löhne und Inflation schmälern den Effekt – und machen betriebswirtschaftliches Handeln dringender denn je.

Vier von fünf gastronomischen Betrieben der Individualgastronomie – also ohne Kettenzugehörigkeit – liegen laut DEHOGA-Wahlcheck 2025 unter einem jährlichen Umsatzniveau von 500.000 Euro. Ein alarmierend niedriger Wert, wenn man bedenkt, wie viel Vielfalt, Unternehmergeist und gesellschaftliche Relevanz diese Betriebe täglich leisten. Dass bei einem solchen Umsatzniveau – gerade bei kreditfinanzierten Betrieben – kaum etwas übrig bleibt, liegt auf der Hand. Umso dringlicher wird die versprochene Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen erwartet, auch wenn sie noch unter Finanzierungsvorbehalt steht.

Gleichzeitig steht die nächste Mindestlohnerhöhung bevor – mit absehbaren Auswirkungen auf das gesamte Lohngefüge. In meiner Beratungspraxis höre ich häufig: „Wie gewonnen, so zerronnen.“ Natürlich wollen wir unsere Mitarbeitenden fair bezahlen und ihnen ein gutes Einkommen ermöglichen. Doch gerade kleine, inhabergeführte Betriebe verfügen nicht über die finanziellen Reserven, um alle politischen Maßnahmen kurzfristig aufzufangen. Bei uns wirken Steueränderungen, Lohnerhöhungen oder gesetzliche Vorgaben oft unmittelbar – und das auf breiter Fläche.

Kein Spielraum für falsche Erwartungen

Außerhalb unserer Gastronomie-Blase wird der Wunsch nach Preissenkungen laut. Manche sprechen von einer ungerechtfertigten Branchen-Subvention. Der Tenor: Wenn der Staat entlastet, sollen Gäste das direkt im Geldbeutel spüren. Doch diese Rechnung geht nicht auf. Unsere Interessenvertreter setzen sich weiter konsequent für die Umsetzung der zugesagten Entlastung ein – aus gutem Grund. Ein erneuter Vertrauensbruch wäre fatal.

Ich verlasse mich nicht auf Bauchgefühle. Daher habe ich eine Beispielrechnung aufgestellt – basierend auf betriebswirtschaftlich anerkannten Vergleichszahlen. Angenommen, wir haben es mit einem Betrieb zu tun, der sauber kalkuliert, stabile Preise hat und seine Mitarbeiterstunden im Griff. In diesem Fall würde die geplante Mehrwertsteuersenkung rechnerisch einen Mehrumsatz von rund 29.000 Euro bringen.

Dem gegenüber steht die Belastung durch die Lohnsteigerung. Ich rechne hier mit einem durchschnittlichen Mehraufwand von etwa 17.000 Euro – bezogen auf den gesetzlichen Mindestlohn. Wer ohnehin hohe Personalkosten oder ineffiziente Strukturen hat, wird deutlich stärker belastet. Ich empfehle: Prüfen Sie Ihre Personalkosten und kalkulieren Sie mit einer Steigerung von 8 bis 10 Prozent – dann kennen Sie Ihre individuelle Belastung.

Steigende Fixkosten drücken auf den möglichen Mehrgewinn

Auch andere Kosten entwickeln sich weiter. Das Statistische Bundesamt geht aktuell von einer Inflation von 2,1 Prozent aus. Ich kalkuliere lieber mit drei Prozent – das ist sicherer. Bei betrieblichen Fixkosten von 250.000 Euro ergibt das eine zusätzliche Belastung von 7.500 Euro. In der Summe bleiben damit nur rund 4.600 Euro Mehrgewinn – und das nur unter idealisierten Bedingungen. Von diesem Betrag gehen dann noch Tilgungen und Steuern ab, bevor etwas in der Kasse des Unternehmers bleibt.

Rechnerisch entspricht die Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent einer Preisentlastung von etwa zehn Prozent. Doch diese theoretische Entlastung wird dringend benötigt, um steigende Kosten abzufedern – nicht, um Preise zu senken. Sollte die Steuersenkung ausbleiben – und ich wage derzeit keine Prognose –, müssen Verkaufspreise steigen, das Angebot verkleinert oder neue Umsatzquellen erschlossen werden. Wenn der Gast nur einen bestimmten Betrag ausgeben will, müssen wir ihm andere Gerichte oder Leistungen anbieten – und ihn dabei unterstützen, das neue Normal zu verstehen. Fakt ist: Wir liegen real immer noch unter dem Niveau von 2019.

Jetzt handeln, bevor der Druck zu groß wird

Der Kampf ums wirtschaftliche Überleben ist längst nicht vorbei.

Fazit:

  • Zu verschenken haben wir nichts.
  • Interessenvertreter brauchen Unterstützung – die Senkung ist existenziell.
  • Der Mehrwertsteuer-Effekt kann helfen, Lohnkostensteigerung und inflationsbedingte Preissteigerungen von bis zu drei Prozent abzufedern.
  • Eine fundierte Verkaufspreiskalkulation ist unabdingbar.
  • Mitarbeiterplanung und Prozesssteuerung müssen stimmen.
  • Das Umsatzniveau muss mindestens gehalten werden – ein Rückgang ist nicht verkraftbar.
  • Besser heute reagieren als morgen – wer jetzt nichts verdient, muss handeln.
  • Kommunizieren Sie mit Ihren Gästen – gerne auch mit einer Beispielrechnung.
  • Geförderte Beratung kann helfen – schreiben Sie mir: grimm@gastronomieberatung.de

Über Björn Grimm:
Björn Grimm ist Inhaber der Grimm Consulting und begleitet gastronomische Betriebe seit vielen Jahren betriebswirtschaftlich. Über 3.500 Betriebe wurden von ihm und seinem Team beraten. Weitere Informationen zur geförderten Kurzberatung:
 www.gastronomieberatung.de