Ran an die Kartoffel!

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Gisela Burger 06.10.2020 MAGAZIN  |  Kochkunst

Alte und spezielle heimische Kartoffelsorten bieten Vielfalt auf dem Teller  – geschmacklich und optisch. Es lohnt sich, die „gute alte Kartoffel“ neu zu entdecken.

Zirka 56 Kilo Kartoffeln konsumiert jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr, inklusive Chips, Pommes Frites und Klößen. Bei Nudeln sind es etwa acht Kilo jährlich. Doch der häufige Konsum verhindert nicht, dass es um die traditionelle Vielfalt der Knollenfrucht in Deutschland schlecht bestellt ist. Etwa 5.000 Kartoffelsorten existieren eigentlich weltweit. Noch vor 80 Jahren bauten Bauern in jedem Ort ihre eigenen, lokalen Typen an, in verschiedenen Größen, Formen und Farben. Heute dominieren im bundesweiten Groß- und Einzelhandel 15 bis 20 Sorten zwischen fest- und mehligkochend. Dementsprechend überschaubar ist auch das Standard-Angebot für die Gastronomie. Wer bewusst verschiedene, regionale und alte Kartoffelsorten einsetzen will, hat daher mehr Aufwand und muss die Rohware direkt von einem Erzeuger beziehen.  

Regionalität ist Trumpf
Erstes Beispiel: Deutschlands erstes Kartoffel-Hotel mit Restaurant in Lübeln. Vor 27 Jahren eröffnete Olaf Stehr den Betrieb in dem Dorf in der Lüneburger Heide, anknüpfend an die heimischen kulinarischen Traditionen. Denn auf den sandigen Böden der Lüneburger Heide werden die Knollenfrüchte seit Jahrhunderten in großer Qualität und Vielfalt angebaut. Das geschulte Küchenteam verarbeitet bis zu zehn verschiedene Kartoffelsorten von einem Direktlieferanten und vom betriebseigenen Acker. „Das jetzt so aktuelle Trendthema Regionalität gab es bei uns von Anfang an“, sagt Olaf Stehr. Blauer Schwede, Heiderot oder Linda heißen die Sorten, die Stehrs Mitarbeiter unter anderem verwenden. Kartoffeln werden dabei längst nicht nur als Beilage, Ofenkartoffel oder Salat gereicht. Etwa 200 Mahlzeiten bereitet die Küche für das Restaurant pro Tag zu.


Sortenvielfalt weckt Kreativität
Auch Blanka Salzinger berichtet, dass sich ihr Lokal als kompetente Adresse rund um die Knollenfrucht gut im Wettbewerb behauptet. Im März 2018 eröffnete sie das Restaurant „Das Kartoffelwerk“ in der Innenstadt in Landsberg am Lech. 24 Plätze umfasst das Lokal, 50 bis 60 Mahlzeiten bereiten Blanka Salzinger und ihre Töchter pro Tag zu. Dabei sind Kartoffeln in jedem Gericht vertreten, von der Vorspeise über den Hauptgang bis hin zum Dessert. Außer Kartoffelsuppen, Gratins oder Püree gibt es beispielsweise Kartoffelpfannkuchen oder -waffeln sowie Kartoffelpizza. Sechs bis zehn verschiedene Sorten verarbeitet die Küche, überwiegend festkochende, aber auch mehligkochende. Vor allem auf der Tageskarte bietet das Kartoffelwerk neue, eigene Kreationen wie Kartoffelmuffins an. „Hier erlauben wir uns, etwas kreativer zu werden“, sagt Blanka Salzinger. Die Rohware bezieht sie von zwei Direktlieferanten aus der Nähe.

Regionale Kartoffeln ins Bewusstsein rücken
Ein Erzeuger, bei dem auch Gastronomiebetriebe spezielle und verschiedene Sorten beziehen, ist der „Lindenbrunnenhof“ in Forchheim am Rande des Kaiserstuhls. Seit mehreren Generationen bilden Kartoffeln hier einen Anbauschwerpunkt. Vor 31 Jahren übernahmen Christa und Ottmar Binder den Betrieb und spezialisierten sich auf Sortenvielfalt. Etwa 40 Sorten Speisekartoffeln bauen sie derzeit nach Bioland-Richtlinien an. Ihre Erzeugnisse vermarkten die Binders direkt über ihren Hofladen sowie auf den Märkten in Freiburg und Hinterzarten. Christa Binder freut sich über die steigende Nachfrage bei Privat- und Profiköchen. „Es gibt heute einfach wieder ein stärkeres Bewusstsein für Qualität.“ Peter Glandien, Inhaber und Geschäftsführer des auf alte Sorten spezialisierten Großhandels „Tartuffli“ in Schwifting am Ammersse, hat dagegen den Eindruck, dass es in Deutschland an Wissen und Verständnis gerade für regionale Sorten und Lagen mangelt. Anders als bei Weinen, sei dies hierzulande bislang kaum ein Thema, bedauert er.