„Trendforschung ist überflüssig“

"Prognosen, Trends und Ausblicke auf die Zukunft darf man nicht gedankenlos für bare Münze nehmen." - Prof. Dr. Holger Rust. Foto: Privat.
06.10.2020 MAGAZIN  |  Konzepte

Trendprognosen spielen im Gastgewerbe eine große Rolle, denn sie geben Hinweise auf die Entwicklung von Ernährungsgewohnheiten. Doch nicht alle teilen diese Ansicht. Der Wirtschaftssoziologe Prof. Dr. Holger Rust sieht Trendprognosen äußerst kritisch. Im Exklusivinterview mit unserer Redaktion erklärt er warum.

KÜCHE: Herr Prof. Dr. Rust, Sie sind als Kritiker der Trendforschung bekannt. Was haben Sie daran auszusetzen?
PROF. DR. HOLGER RUST: Es gibt geradezu eine Inflation bei der Trendforschung. Trendprognosen sind zahlreich am Markt vorhanden und sie vermehren sich schnell. Meine Zweifel an der inflationär verbreiteten Trendforschung beginnen schon mit den Begriffen „Trend“ oder sogar „Megatrend“. Es ist ein völlig verbrauchtes Wort, das zunächst einmal keinen festen Sinn hat.

Was ist denn ein Trend im Sinne der Wissenschaft?
Im statistischen Sinn wäre ein Trend eine sich fortdauernd in die gleiche Richtung verändernde Entwicklung, die von Dauer ist. Und die muss sich zu verschiedenen Messzeitpunkten feststellen lassen. Wir haben es bei einem Trend also sozusagen mit einem Muster zu tun, das sich in den Handlungsweisen der Menschen widerspiegelt. Bei der Trendbeobachtung ist es die Frage, ob tatsächlich grundlegende Veränderungen im Alltag passieren oder ob es sich lediglich um neue Spielarten von Grundmustern handelt. Letzteres ist im Übrigen bei kulinarischen Moden oft der Fall. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass inhaltlich eigentlich nichts grundlegend Neues passiert.

Was meinen Sie damit genau?
Zählen Sie einfach einmal für ein Jahrzehnt zusammen, wie viele Trends in den Reports der einschlägigen Agenturen auf den Markt geworfen wurden! Zurückhaltend geschätzt, gibt es allein in Deutschland ungefähr 200 dieser Agenturen oder besser gesagt: Firmen. Die stehen natürlich in Konkurrenz zueinander und wollen jeweils ein Alleinstellungsmerkmal aufbauen.

Wissenschaftliche Markt- und Sozialforschung ist anders?
Markt- und Sozialforschung benötigt klare Merkmale und Kriterien, die sich messen lassen. Diese Arbeit ist ein langfristiger, oft mühseliger Prozess. Echte Forschung fragt immer auch: Was spricht gegen meine Hypothese? Um sich gegen unliebsame Überraschungen abzusichern, vor allem bei der Vorbereitung strategischer Entscheidungen. Beispiele dafür sind die Stichproben, die der Arbeit zugrunde liegen, Aufgabenstellung und Reichweite der Ergebnisse. Wenn das Ganze einen wissenschaftlichen Anstrich bekommt, sind die Veröffentlichungschancen noch größer. Anglizismen, sind bei Trendprognosen ein „Muss“ ebenso wie locker über die Zunge gleitende Kurzbegriffe und abenteuerliche Wortschöpfungen. Vor allem die Medien stehen der Trendforschung sehr aufgeschlossen gegenüber.

Vor allem die Medien sind an Trendforschung interessiert, sagen Sie?
Ja. Die suchen ja täglich nach neuen kleinen Sensationen und Geheimtipps – die ja komischerweise in dem Moment, wo sie veröffentlicht werden, keine mehr sind. Es ist eben zu schön für den gehetzten Journalismus, diese Trend-Sprüchlein nachzuschreiben, sich auf „Forschungen“ zu berufen und die Gurus zu Wissenschaftlern hochzuschreiben. Die Mehrzahl der vorgeblich wissenschaftlichen Befunde ist längst bekannt oder einfach nur sehr simpel – und oft sogar falsch.

Sie halten Trendforschung also im Grunde für überflüssig?
Trendforschung ist im Prinzip unterhaltsam, aber grundsätzlich überflüssig. Denn was man wirklich wissen will in Unternehmen, ist ganz sicher nicht das, was alle wissen können. Und was die Trendforschung produziert, drängt ja in die Öffentlichkeit. So entsteht der kleine, aber knirschende Widerspruch, dass alle diese Agenturen mit Kundenlisten von hunderten oder tausenden Unternehmen aufwarten, aber natürlich damit werben, dass sie exklusiv einen Wettbewerbsvorteil sichern helfen. Mein Appell: Prognosen, Trends und Ausblicke auf die Zukunft darf man nicht gedankenlos für bare Münze nehmen. Stattdessen sollte man akzeptieren, dass es nicht möglich ist, in die Zukunft zu schauen. Menschen verhalten sich eben oft irrational und entziehen sich dadurch der Möglichkeit, ihre Handlungen vorherzusagen.

Vielen Dank für das Gespräch.


PROF. DR. HOLGER RUST

Emeritierter Professor für Wirtschaftssoziologie; lehrte und forschte an Universitäten im In- und Ausland; langjähriges Vorstandsmitglied des Institutes für Soziologie an der Universität Hannover; Verfasser zahlreicher Bücher, darunter: „Zukunftsillusionen – Kritik der Trendforschung“ und „Fauler Zahlenzauber – Fiktionen über Fakten in Wirtschaft und Management“; Autor für angesehene Wirtschaftsmagazine, wie zum Beispiel „Manager Magazin“ und „Harvard Business Manager“.